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Kultur - 12.12.2018

Die Taube in der Hand

Gottesglaube als Denkvorteil: zum Tod des Philosophen Robert Spaemann.

Fortschrittsskeptiker. Der Philosoph Robert Spaemann (7. Mai 1927 – 10. Dezember 2018).

Von dem Etikett, er sei ein katholischer Philosoph, wollte er nichts wissen. Sogar namhafte Kollegen wie Norbert Hörster hängten es ihm an. Er sei, sagte Robert Spaemann, allenfalls ein Philosoph katholischen Glaubens. Wenn man ihm vorwerfen wollte, er habe sich die Freiheit seines Denkens durch die Dogmenlehre der Kirche einschränken lassen, lag für ihn darin ein doppeltes Missverständnis. Zum einen leugnete er, dass es ein voraussetzungsloses Denken geben könne. Der Ungläubige, erklärte er, bringe nicht weniger an Grundhaltung mit als der Gläubige. Das beste Beispiel war für ihn Daniel Dennetts dogmatisches Bekenntnis zum Materialismus im Nachdenken über den menschlichen Geist.

Zum anderen fühlte er sich mit dem, was er das Grundvertrauen gegenüber der Wirklichkeit nannte, in seiner Unvoreingenommenheit nicht beeinträchtigt. Spaemann stimmte mit der katholischen Morallehre nicht so sehr deswegen überein, weil er ihr von Kind an ausgesetzt war, sondern weil er ihre Grundzüge als Philosoph rechtfertigen konnte.

Was ihn vor den institutionellen Zwängen der Theologie bewahrte, mit der er kurz geliebäugelt hatte, ist von daher auch das, was seine Schriften für jeden philosophisch interessierten Leser öffnet. Robert Spaemann, 1927 in Berlin geboren und in Köln aufgewachsen, war einer der bedeutendsten Philosophen der Bundesrepublik: konservativ in der allgemeinen Ausrichtung, wie es alle Vertreter der ansonsten heterogenen Ritter-Schule unter ihrem Präzeptor Joachim Ritter waren. Die Schule verlor zuletzt mit dem Gießener Skeptiker Odo Marquard einen ihrer herausragenden Figuren. Akademisch wurde sie auch von Gegnern respektiert. Vor allem aber nahm sie Einfluss auf öffentliche Debatten, wie es sonst nur eine Handvoll universitär verankerter Philosophen für sich beanspruchen kann. Ohne Spaemanns bis in die achtziger Jahre zurückreichende Einlassungen zur Euthanasie und zu Tierrechten wären unsere heutigen Auseinandersetzungen um Sterbehilfe als Dienstleistung, um Massentierhaltung und Vegetarismus ärmer.

Stilistische Eleganz

Bei alledem war ein klar formulierender, stilistisch pointierter Autor. Die Umstandskrämerei so mancher Kollegen ließ er lächerlich erscheinen, ohne den Anspruch auf Durchdringung des jeweiligen Gegenstands preiszugeben. Wenn es für seine Bücher überhaupt eines ermäßigten Eintritts bedarf, dann bietet ihn der Gesprächsband „Über Gott und die Welt“ (Klett-Cotta 2012). Stephan Sattler hat ihn darin zu allen wichtigen Stationen seines Lebens und Denkens befragt.

Philosophisch besiedelte Spaemann ein Spektrum am entgegengesetzten Ende von Jürgen Habermas, dem zweiten Denker, der weit über das Katheder hinaus Einfluss auf die deutschen und europäischen Verhältnisse gewann. Der zwei Jahre Jüngere, mit dem sich Spaemann 1972 im „Merkur“ einen Schlagabtausch lieferte, hatte ähnlich verstörende Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Krieg gemacht, zog daraus aber andere Konsequenzen. Während Habermas eine Diskursethik entwarf, die sich nicht auf ewige Werte beruft, weil die Sprecher Entscheidungen in jeder gegebenen Situation unter idealerweise herrschaftsfreien Bedingungen neu aushandeln, hielt Spaemann das für eine gefährliche Illusion.

Er bezweifelte, dass sich das Gute unter den Bedingungen zwangloser Kommunikation schon durchsetzen werde – abgesehen davon, dass sich diese Zwanglosigkeit manchmal nur unter Polizeischutz herstellen lasse. Ohne Bezug auf ein vorgängig Gutes sei gesellschaftliches Zusammenleben nicht zu organisieren: Man müsse, anders als die Diskursethik, in Einigungsprozessen schon immer eine Vernunft voraussetzen, die sich nicht erst im Ergebnis realisiert. In dieser Hinsicht war Spaemann ganz Tugendethiker aristotelischer Prägung.

Schimpfwort Affirmation

Als Christ widerstrebte ihm die Vorstellung jederzeit revidierbarer Werte noch mehr. Der Begriff des Wertes selbst war ihm suspekt: In dessen Namen argumentierten auch die Vertreter eines politischen Korrektheitsdenkens, das er verabscheute. Es galt ihm als Ausweis eines Relativismus, der den Wahrheitsgedanken zugunsten eines billigen Rangelns um vorübergehende Hegemonien verabschiedet hat. Damit gehe auch der Gedanke umfassender Toleranz zugrunde. Das Absolute, so war er überzeugt, biete den einzigen zuverlässigen Schutz gegen die Zumutungen totalitärer Herrschaft. Unter Linksliberalen machte sich Spaemann zudem wenig Freunde, indem er das permanente Hinterfragenmüssen geißelte: „In einem Zeitalter, das im Wesentlichen bestimmt ist durch Kritik und in dem Affirmation fast ein Schimpfwort geworden ist, wendet sich meine kritische Mentalität gegen die Kritik als herrschende Daseinsform.“

Die Positionen von Spaemann und Habermas haben sich unterdessen auf verquere Weise angenähert. Habermas beharrt schon lange nicht mehr auf der Voraussetzungslosigkeit der Diskursethik, und Spaemann verteidigt eine weltanschauliche Offenheit von Diskursen, die ihre Grenze allein in der Rechtsstaatlichkeit finden. So unterschrieb er 2006 ohne jede Sympathie für die Protagonisten der Neuen Rechten einen „Appell für die Pressefreiheit“, nachdem die „Junge Freiheit“ keinen Stand auf der Leipziger Buchmesse bekommen sollte. Es ist, soviel sich auch gegen Spaemanns ungebrochenen Wahrheitsbegriff einwenden lässt, nicht davon auszugehen, dass er seine Meinung angesichts des wachsenden revisionistischen Schmähmodus’ im Lande geändert hätte.

Lieblingsantipode Nietzsche

Philosophiegeschichtlich hieß Spaemanns Lieblingsantipode Friedrich Nietzsche. Er verdankte ihm wesentliche Einsichten, lehnte aber genau das ab, was dieser begrüßte. Mit der Idee Gottes, fürchtete Spaemann, verschwinde auch die Idee des Menschen. „Wenn wir den Gedanken der Wahrheit fallenlassen, dann haben wir auch die Aufklärung aufgegeben“, paraphrasierte er Nietzsche. „Das Pathos der Aufklärung lebt vom Glauben an Wahrheit. Ohne ihn zerstört sich die Aufklärung selbst. An ihrem Ende steht der Nihilismus.“

Der Gläubige war für ihn im Vorteil gegenüber dem Ungläubigen. Er besitzt einen Sinn für Wunder und für die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als freies, endliches, zur einen Wahrheit berufenes Wesen. Und er muss für sein Glück nicht auf ein fernes Morgen warten: „Ich habe mal geschrieben: Besser die Taube in der Hand als der Spatz auf dem Dach. Der Gläubige hat die Taube schon in der Hand, und die Utopien sind für ihn Spatzen.“

Man muss Spaemann, der bis 1992 an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität lehrte, in diesen entscheidenden Fragen nicht folgen, um sich von seiner Lust am Denken entlang der Tradition anstecken zu lassen. Er hielt es gerne mit Wittgenstein: „Der Gruß unter Philosophen sollte sein: ,Lass dir Zeit.’“ Für ihn ist diese Zeit nun abgelaufen: Am Montag ist Robert Spaemann mit 91 Jahren in Stuttgart gestorben.

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