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Kultur - 23.06.2019

Die Schlüssel stecken von innen

Berliner Mauern, Teil 1: Im Anbetungskloster St. Gabriel leben die Nonnen in der strengsten Klausur der Stadt.

Stein und Eisen. St. Gabriel in Westend wurde 1936 eingeweiht. Die für 30 Nonnen erbaute Anlage ist von der Neuen Sachlichkeit…

Ein massives Bauwerk, das einhegen und schützen, aber auch trennen und begrenzen kann. Mura, Murus – das Wort ist althochdeutschen und lateinischen Ursprungs. Den Steinbau haben die Germanen von den Römern übernommen. Keine Zivilisation ohne Mauern. Sie sind so alt wie China oder Babylon. Und was sie bedeuten können, hat im 20. Jahrhundert keine Stadt schmerzhafter erfahren als Berlin. Dreißig Jahre nach dem Mauerfall existieren hier immer noch Mauern. Unsere Sommerserie blickt dahinter.

Aus freien Stücken hinter einer Mauer leben. Ausgerechnet in einer Großstadt dem weltlichen Getriebe entfliehen. Für immer. Wer tut so was? Menschen, die sich einem anderen Diktat als dem unablässiger Aktivität und Produktivität unterwerfen. Frauen, die sich der bürgerlichen Norm der Nützlichkeit entziehen. Nonnen, die in der strengsten Klausur der Stadt leben. Sie heißen Dienerinnen des Heiligen Geistes von der ewigen Anbetung und werden auch Steyler Anbetungsschwestern oder nach der Farbe ihres Ordenskleides Rosa Schwestern genannt.

Quader aus Kalkstein, schmiedeeiserne Kreuze, Zacken auf der Metallpforte, ja sogar stilisierter Stacheldraht – die Klostermauer des Anbetungsklosters St. Gabriel in Westend sieht wehrhaft aus. Ein feste Burg ist unser Gott? Nein. Der Gedanke an Martin Luthers Choral verfliegt so schnell, wie er gekommen ist. So viel Neue Sachlichkeit wie die auf der anderen Seite des Klosterportals angrenzende Anbetungskirche Mariae Verkündigung an der Ecke Preußen- und Bayernallee atmet. Dunkelroter Klinker, weißer Putz, gerade Linien. Hier leben und beten die Nonnen, und in ihrem Fall ist beides eins.

Die Monstranz birgt das Allerheiligste

Die Stadt mag gottlos sein und das Lobpreisen verlernt haben. Doch die 14 Schwestern zwischen 36 und 89 Jahren halten dagegen. Sie beten für die Steyler Missionare und Missionsschwestern, mit denen sie eine dreiteilige Kongregation bilden. Und sie beten für die Anliegen aller Menschen, die manchmal über Jahrzehnte mit ihnen in Verbindung stehen.

Mit 23 ins Kloster. Schwester Maria Mechthild hinter dem Gitter des Sprechzimmers.

Morgens um sieben kann man mit ihnen zusammen die Messe feiern. Dann öffnen sie das Gitter, das ihr Chorgestühl von den Bänken der Kirchenbesucher trennt. Das erste von sieben Chorgebeten des Tages, Laudes genannt und um 5.30 Uhr abgehalten, liegt da schon lange hinter ihnen. „Ihr seid zur Freiheit berufen“, liest der Pfarrer aus dem Evangelium. Ein Bibelwort, das angesichts dieses in radikaler Kontemplation geführten Lebens besonders irritierend klingt.

Die Nonnen verlassen die Kirche. Diejenige aber, die Anbetungsdienst hat, bleibt und kniet sich vor den Altar. Ihre Verehrung gilt dem Allerheiligsten, also der mit einer geweihten Hostie gefüllten, goldenen Monstranz über dem Alter. In ihr ist nach katholischem Glauben Jesus Christus gegenwärtig.

In Berlin existieren 56 Konvente

56 Konvente existieren in Berlin, mit 360 Ordensleuten. Sie betreuen Pfarreien, führen Suppenküchen, leiten Flüchtlingswerke, pflegen Kranke, arbeiten als Seelsorger oder Lehrer. Die 14 Nonnen in Westend machen nichts davon. Sie führen ihre Wirtschaft und sie beten. Tag und Nacht. Rund um die Uhr. Lebensmittel bekommen sie gebracht. Keine verlässt das Kloster, außer es steht ein Arztbesuch oder eine Versetzung in eins der weltweit 22 Klöster des nur 350 Nonnen umfassenden Ordens an.

„Die Klausur ist das Unmögliche. Ich verstehe sie selbst nicht. Aber ich lebe sie – ich liebe sie, sie bringt mich in die Nähe Gottes“, heißt es in einer Broschüre des Anbetungsklosters. Dass die spirituelle Hinwendung zu Gott durch die Abkehr von der profanen Welt erleichtert wird, ist eine Idee, die viele Religionen kennen. Das betrachtende, geistliche und das praktische Leben waren schon in der antiken Philosophie ein Gegensatz. Im Christentum existieren Klostermauern, die die monastische Klausur schützen, seit 1600 Jahren. Das lateinische „claustrum“ bedeutet „verschlossener Ort“.

In Westend hat ihn Martin Braunstorfinger samt der Kapelle als Dreiflügelanlage erbaut. Und zwar 1936, also mitten im Nationalsozialismus. Gefördert und eingeweiht hat sie Prälat Bernhard Lichtenberg, der als NS-Gegner sieben Jahre später auf dem Transport ins KZ Dachau starb. Die Schwestern fühlen sich noch heute mit ihm verbunden.

Abends ist Plauderzeit, eine Dreiviertelstunde

„Wo der Geist des Herrn, da Freiheit“ steht über der Klosterpforte, die sich ein paar Tage nach dem Gottesdienstbesuch mit einem leisen Summton öffnet. Zwar schätzen die Schwestern das Schweigen und plaudern nur abends eine Dreiviertelstunde frei miteinander, aber sie sind zu erreichen. Per Telefon, Mail und persönlichem Besuch.

Am Ende des Flurs linst Schwester Maria Mechthild durch das Glas einer Tür und deutet auf die des Sprechzimmers. Wieder ertönt ein Summen, auch diese Tür springt automatisch auf. Auf dem Tisch stehen Rosen. Papst Franziskus grüßt von der Wand. Hinter dem Gitter, das den weltlichen Bereich vom klösterlichen trennt, leuchtet der Garten durch das offene Fenster. Das also liegt hinter der abweisenden Klostermauer. Ein grünes Paradies.

Hinter der Klosterpforte. Vor Flur des Anbetungsklosters führt rechts die Tür ins Sprechzimmer.

Ordensleben war nicht in allen Jahrhunderten so selbstgewählt wie heute, wo junge Nonnen aus Deutschland Mangelware sind und die jüngsten in St. Gabriel aus Indonesien kommen. Sicher wurden Frauen in früheren Zeiten auch gegen ihren Willen hinter Klostermauern weggesperrt. Der Topos der gegängelten, zweifelnden Nonne füllt Filme und Bücher, so wie Klöster überhaupt romantische Projektionen anziehen.

Republikflüchtig, um ins Kloster zu gehen

Die 1932 in Dresden geborene Mechthild Kotulla ist für das Ordensleben republikflüchtig geworden. Nach Abitur und Biologiestudium hat sie sich 1955 hier in Charlottenburg im Konvent bekannt gemacht und ist dann ein Jahr später im Mutterhaus des Ordens im niederländischen Steyl eingetreten. Mit 23. Bis zum ewigen Gelübde vergingen dann weitere acht Jahre. Viele Novizinnen brechen vorher ab. Sie nicht. „Ich hatte Ja zu Gott und dem Ordensleben gesagt.“ Und das heißt? „Ich habe es für mich als Aufgabe des eigenen Willens definiert.“ Seither dient Maria Mechthild nur noch einem: Gott. Was kümmern da Mauern.

Nach vielen Stationen im In- und Ausland lebt sie seit 2005 in Berlin. „Wo Sie jetzt sitzen, habe ich damals gesessen“, erzählt sie. „Meine Güte, diese schlauen Nonnen“, hat sie gedacht, „die wollen mich unbedingt haben!“ Ihre persönliche Berufung jedoch, die erlebte sie im Kölner Dom. Dass die ewige Anbetung und die strenge Klausur zusammengehören, war für die zarte Dame von vornherein klar. „Alles, was ich wollte, war hier, das habe ich sofort gespürt.“

Mariae Verkündigung. In der Kirche des Klosters wird rund um die Uhr gebetet.

Der stellvertretend für alle Welt absolvierte Dienst für den Allerhöchsten fordert alle Konzentration. „Da ist es eine große Hilfe, dass wir nicht zum Vergnügen hinausgehen müssen.“ Etwa auf Familienbesuch, was bei anderen Orden möglich ist. „Das brächte zu viele Zerstreuungen mit sich.“

Draußen war sie zuletzt vor zwei Jahren

Wann sie zum letzten Mal jenseits der Mauer war? „Vor zwei Jahren, da musste ich ins Krankenhaus.“ Schnell hat sie sich ins Kloster zurückgesehnt.

Die Mauer, die den Menschen draußen als undurchdringliche Schweigemauer erscheint, empfindet Maria Mechthild als Schutz ihrer Freiheit. Die Schwester lacht. „Unsere Schlüssel stecken von innen, nicht von außen.“ Eingesperrt habe sie sich in all den Jahrzehnten im Kloster nie gefühlt. „Wir haben ja den Herrn Jesus Christus bei uns, der alle Freiheit in sich birgt.“ Die göttliche Gnade zu erflehen sei die größte Aufgabe überhaupt, ist die Schwester überzeugt. „Nur, so viele Menschen wissen das nicht. Die müssten alle katholisch werden.“

Genug gesprochen. Schwester Mechthild muss zum Gebetsdienst in die Kirche hinüber. Zum Abschied steckt sie ihre schmale Hand durch das Gitter und mahnt. „Bitte ziehen Sie die Tür hinter sich zu.“ Das Vogelgezwitscher im Garten und die Stille der Räume bleiben zurück, als die Pforte zufällt. Straßenlärm brandet gegen die Klostermauer.

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