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Kultur - 12.07.2019

Die ganze Welt vor der Haustür

Rembrandt war genauer Beobachter seiner Umwelt, ihrer Sitten und Unsitten: Das Kupferstichkabinett in Dresden zeigt jetzt sein grafisches Werk.

Rembrandts Grafik „Saskia im Bett“, 1638

Der Kunstbetrieb folgt den Jubiläen. 2019 ist wieder einmal ein Rembrandtjahr; die Lebensdaten des Meisters, 1606 bis 1669, erlauben jeder Generation ein solches. Nun also wird der 350. Todestag begangen. So auch in Dresden.

Rembrandt war Maler und Grafiker und in beiden Bereichen herausragend. An Rembrandts Grafik, von der Zeichnung bis zur Radierung, gibt es zudem immer noch und immer wieder so viel zu entdecken, dass ihre bloße Zurschaustellung ausreicht. Dass die Dresdner sich damit allerdings nicht begnügen, liegt beim Anspruch des Hauses auf der Hand.

Das Kupferstichkabinett stellt die Ausstellung seiner um einige bedeutende Leihgaben erweiterten Schätze unter den Titel „Rembrandts Strich“ (bis 15. September, Katalog 35 €). Den „Strich“ versteht Direktorin und Ausstellungskuratorin Stephanie Buck als „Synonym für den offenen Prozess der Werkentstehung“ und stellt ihn Raffaels „Linie“ gegenüber – allerdings nur in ihrem Katalogbeitrag; in der Ausstellung selbst wäre es noch reizvoller gewesen. Es gibt einen weiteren, nur im Katalog ausgetragenen Vergleich – mit Raffael. Jürgen Müller, Kunsthistoriker an der TU Dresden, gibt eine hochgelehrte Deutung des „Hundertguldenblatts“, einer der berühmtesten Radierungen Rembrandts, als einen künstlerischen Vergleich mit Raffaels „Schule von Athen“ und zugleich ein unorthodoxes Glaubensbekenntnis des Künstlers.

Das Hohe und das Niedere existieren nebeneinander

Das muss man alles nicht wissen, um die Werke genießen zu können. Das Schöne an Rembrandts Grafik ist, dass das Hohe und das Niedere nebeneinander existieren. Gern spricht man davon, dass Rembrandt ins volle Leben gegriffen habe. Jedenfalls war er ein genauer Beobachter seiner Umwelt und ihrer Sitten und Unsitten, und sie fließen in seine Werke auch dann ein, wenn sie, wie im „Hundertguldenblatt“, zentrale Fragen der eigenen Existenz und Weltsicht zum Ausdruck bringen. Noch jede Skizze Rembrandts ist es wert, aufgehoben zu werden; etwa das berührende Blatt von der kranken Ehefrau Saskia, die viel zu früh, im Alter von knapp 30 Jahren, verstarb.

Rembrandt hat viele historiae, viele Geschichten der Bibel dargestellt, sowohl aus dem Neuen wie dem Alten Testament. Geschichten aus dem letzteren hat er gerne in eine orientalisierende Szenerie gestellt, ihre Protagonisten in fantastischen Kostümen; das hat dazu geführt, in Rembrandt einen Schilderer jüdischen Lebens zu sehen, wie er es vor seiner Amsterdamer Haustür vorfand. Eher war es so, dass das Amsterdam des gouden eeuw, des Goldenen Jahrhunderts der Niederlande, ohnehin kosmopolitisch in einem ganz heutigen Sinne war, als Drehscheibe für Menschen, Waren und Kulturen aus allen Erdteilen. Sie hat Rembrandt beobachtet und mit ihren Turbanen und Gewändern ins Bild gebracht, wie in der 1641 entstandenen Federzeichnung der „Begegnung zweier Männer“. Mit orientalisierendem Personal ausgestattet ist auch die 1655 entstandene Kaltnadelradierung „Ecce Homo“, von deren acht Druckzuständen – die Druckplatte musste nach einer bestimmten Anzahl von Abzügen überarbeitet werden – allein drei in Dresden bewahrt werden.

Virtuos ist Rembrandts Darstellung von Licht und Dunkelheit

Zugleich vermochte es Rembrandt, Landschaften wunderbar darzustellen. Die Radierung „Landschaft mit drei Bäumen“ von 1643 demonstriert die Virtuosität, die Rembrandt in der Darstellung flüchtiger Wetterphänomene besaß. Von dem Abzug gibt es in Dresden sogar einen Abklatsch, also einen Abdruck vom noch farbfeuchten Druck – ein Rarissimum, zumal er die Radierung seitenverkehrt wiedergibt und damit so, wie sie der Künstler im Kopf hatte, als er sie in die metallene Druckplatte ritzte.

Virtuos ist auch Rembrandts Darstellung von Licht und Dunkelheit, für die ihm in der Grafik nur ein Entweder-Oder blieb: freilassen oder dicht schraffieren. Der „Gelehrte an einem Tisch bei Kerzenlicht“ von 1642 sitzt fast ganz im Dunkeln, das durch die schwache Kerze im Bildmittelpunkt als solches bewusst wird, und der „Heilige Hieronymus im dunklen Zimmer“ vom Jahr darauf ist in ein Geflecht von Strichen eingehüllt, aus dem erst nach längerer Betrachtung Einzelheiten hervortreten.

Der Dresdner Ausstellung sind Vergleichsblätter hinzugefügt, von Goya bis Beckmann, dazu größere Blätter von Arnulf Rainer oder dem derzeit so gehypten William Kentridge. Zum Verständnis Rembrandts sind sie ebenso überflüssig wie zur Illustrierung des Umstandes, dass Kunst sich immer auf Vorausgehendes bezieht. Rembrandt ist ein Kosmos für sich, und das Kupferstichkabinett darf sich glücklich schätzen, so viele Blätter dieses Jahrhundertgenies zu besitzen.

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