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Kultur - 15.03.2019

Die emotionale Mitte bleibt leer

Eine Compagnie im Umbruch: „Distant Matter“ ist die erste Uraufführung des Staatsballetts Berlin unter dem neuen Leiter Johannes Öhman.

Das Berliner Staatsballett in „Distant Matter“.

Eine halbe Premiere, bei der gerade mal eine Dreiviertelstunde wirklich neues Material gezeigt wird, ist schon eine seltsame Angelegenheit. Doch in dieser Saison kann man vom Staatsballett Berlin einfach keine ganzen Sachen verlangen. Durch den Rückzug des ebenso glück- wie in Berlin orientierungslosen Nacho Duato stand die Compagnie plötzlich ohne Leitung da. Johannes Öhman trat früher an, seine Co-Intendantin Sasha Waltz stößt erst zur nächsten Saison hinzu. Bis dahin feiert sie das 25-jährige Jubiläum der eigenen Truppe und stopft mit ihr Lücken im Spielplan der Volksbühne. Am 7. März wird am Rosa-Luxemburg-Platz „rauschen“ uraufgeführt, eine choreografische Erkundung „bodenloser Verhältnisse“ für zwölf Tänzer von Sasha Waltz & Guests. Sicher das richtige Stück am richtigen Ort, doch auch die Übergangszeit am Staatsballett hat es in sich. Groß war der Widerstand gegen das Konzept von Waltz und Öhman, modernen und klassischen Tanz gleichberechtigt unter einem Dach zu entwickeln. Durch den vorzeitigen Start der neuen Intendanz müssen nun Überzeugungs- und Umbauarbeiten gleichzeitig geleistet werden, und das bei laufendem Betrieb.

Erkennbar ist dabei Öhmans Bestreben, sich in Berlin nicht nur selbst zu wiederholen, wie es Duato trotzig getan hat. Doch wenn man wirklich neue Kreationen für eine Compagnie im Umbruch zeigen will, dauert das seine Zeit, wie sehr auch immer danach gejiepert wird. Jetzt war es an der Komischen Oper soweit, die erste Uraufführung der neuen Ära am Staatsballett ging als erster Teil eines modernen Doppelabends über die Bretter. Mit der niederländischen Choreografin Anouk van Dijk hat Öhman eine Künstlerin eingeladen, die sich systematisch mit der Präsenz auf der Bühne beschäftigt. Mit ihrer Countertechnique hat sie eine Methodik geschaffen, die Tänzerinnen und Tänzern eine geschärfte Wahrnehmung im Raum und eine Wahl zwischen Alternativen erlauben soll. Im Idealfall hätte van Dijks Berlinaufenthalt also auch so etwas wie ein Workshop für das sich neu findende Staatsballett sein können.

Gut eingegroovt

Drei Tänzerinnen und vier Tänzer schickt die Choreografin für „Distant Matter“ auf die mit einem weißen Tuch ausgeschlagene Bühne. Auf der Tonspur von Jethro Woodward knistert Vinyl-Nostalgie, zu der sich sanft kollernde Bässe gesellen. Und das Ensemble tritt tatsächlich so auf, wie es die akustische Rückwärtsrolle befürchten lässt: auf einem Laufsteg, besteckt mit Lack, Netz und Helm, als ginge es darum, die Neunziger unter Laborbedingungen noch einmal durchleben zu müssen. Mittel, um das näher zu untersuchen, bietet van Dijk allerdings nicht an. Man erkennt Motive von Selbstberauschung, und die emotionale Mitte bleibt spürbar leer. Zuletzt wird einfach wieder abgetreten, nur eine Tänzerin muss sich nach beherztem Sprung vom Bodentuch verschlingen lassen. Keine glückliche erste Uraufführung für das Staatsballett, das aber nach der Pause zeigen konnte, wie gut es sich seit September in Sharon Eyals „Half Life“ eingegroovt hat: Drill und Ticks durchzucken hier faszinierend einen kollektiven Körper aus 13 graugewandeten Leibern, bis sie zu leuchten beginnen.

Nächste Vorstellungen am 10., 15. und 25. März

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