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Kultur - 11.12.2018

Die Beschwörer der Leinwand

Nähe zur Bevölkerung: Das internationale Filmfestival von Marrakesch entdeckt unter deutscher Leitung das afrikanische Kino neu.

Die Leinwand auf dem Platz Djemaa El Fna bringt das Festival zu den Menschen.

Das Herz Marrakeschs schlägt am Djemâa El Fna, dem Marktplatz der „roten Stadt“ und Tor in die historische Medina. Das Bild darf man wörtlich verstehen: Percussiongruppen trommeln von morgens bis abends zwischen Verkaufsständen, Schlangenbeschwörern und Touristen, sie geben dem chaotischen Treiben an der Schnittstelle zwischen der neuen und der alten Stadt einen fiebrigen Rhythmus. Auf den ersten Blick erfüllt der Platz alle Klischees vom mythischen Marrakesch.

Im Hintergrund überragt der Turm der Koutoubia-Moschee, erbaut im 12. Jahrhundert, die flachen Gebäude der Medina. In den Abendstunden taucht der rötliche Lehm der Häuser, dem Marrakesch seinen Spitznamen verdankt, die Altstadt in ein warmes Licht. Doch wer sich abseits des Djemâa El Fna bewegt, wo sich Händler, flanierende und motorisierte Einheimische und Touristen durch die labyrinthartigen Gassen drängeln, erkennt, dass dieser Ort sehr real ist: Hier treffen die letzten europäischen Spuren auf die jahrhundertealten Einflüsse des arabisch geprägten Maghreb und der Subsahara.

Am Djemâa El Fna schlägt auch das Herz des Internationalen Filmfestivals von Marrakesch. In den Abendstunden versammeln sich hier Tausende von Menschen vor einer Großleinwand, mit der europäischen Vorstellung eines gepflegten Kinobesuchs haben diese Vorführungen allerdings wenig gemein. Das Publikum steht, Bestuhlung gibt es nicht. Im hinteren Teil des Platzes trommeln Musiker, aus einer Boombox dröhnt afrikanischer Hip-Hop. In einer anderen Ecke sammelt sich eine Menschentraube um einen Akrobaten. So funktioniert Kino in Marokko: Das Leben geht einfach weiter. Dem Akrobaten wird dieselbe Aufmerksamkeit zuteil wie dem Ehrengast Robert de Niro, der seinen Gangsterfilm „The Untouchables“ präsentiert.

„Weltpremieren interessieren uns nicht“

Das Freilichtkino auf dem Djemâa El Fna ist seit der Gründung des Marrakesch Filmfestivals vor 17 Jahren eine Institution. „Hier kommt das Festival zu den Menschen“, sagt Christoph Terhechte, der neue künstlerische Leiter. Diese Nähe zur Bevölkerung hat das Festival unter der Schirmherrschaft von König Mohamed VI. und Prinz Moulay Rachid, zwei erklärten Kinofans, zuletzt vermissen lassen. Es war einer von vielen Gründen, warum der König im vergangenen Jahr eine Pause verordnete, um die Ausrichtung zu überdenken. Zum Neustart holte man sich Expertise von außen. Terhechte leitete von 2001 bis 2018 das Forum der Berlinale, das unter ihm schon einen stärkeren Fokus auf das afrikanische und arabische Kino legte. In sein Auswahlkomitee holte er sich unter anderem die Kuratorin Rasha Salti und Rémi Bonhomme, der die „Woche der Kritik“ in Cannes mitverantwortet und sich schon lange für die Förderung von arabischen Filmemacherinnen und Filmemachern einsetzt.

Christoph Terhechte, neuer Leiter des Filmfestivals von Marrakesch.

Viel Zeit hatten Terhechte und sein Team nicht. Als er im Mai den ersten Film in Cannes akquirierte, war sein Vertrag noch nicht unterzeichnet. „Eigentlich kaum zu glauben, das wir das in so kurzer Zeit geschafft haben“, meint Terhechte am Morgen nach der Eröffnungsgala mit Julian Schnabels Van-Gogh-Film „At Eternity’s Gate“. „Weltpremieren interessieren uns nicht. Uns war es wichtiger, die richtige Balance zwischen internationalen Filmen und Filmen aus der Region zu finden“, sagt der Festivalchef. „Du brauchst einen Robert de Niro oder einen Guillermo del Toro, um das Publikum neugierig zu machen. Aber das Programm in Marrakesch steht für Arthousekino, mit einem regionalen Bezug.“ Das war schon immer so. Doch die langjährige Direktorin Mélita Toscan du Plantier beobachtete auch eine wachsende Entfremdung.

Das Festival soll sich wieder dem Publikum öffnen

Die Vorbehalte der Menschen sind nachvollziehbar. Das Festival findet in einer aus dem Boden gestampften Trabantenstadt aus Hotelburgen statt, gelegen zwischen dem in den zwanziger Jahren gewachsenen Vergnügungsviertel Gueliz und der historischen Medina. Zwar ist der Eintritt frei, aber psychologisch kostet der Kinobesuch Überwindung. Die Hotels und das Festivalzentrum Palais des Congrès bieten internationalen Besuchern alle Annehmlichkeiten, die Einheimischen lädt das Areal nicht unbedingt zum Verweilen ein. Auch darum ist das Freiluftkino auf dem Djemâa El Fna so wichtig. Hier läuft der Marvel-Film „Ant-Man and the Wasp“ genauso wie „Korsa“ und „Lahnech“, die diesjährigen Hits an den marokkanischen Kinokassen.

Das Festival soll sich wieder dem Publikum öffnen, so will es der König. Die offizielle Sprachregelung lautet in diesem Jahr daher: Arabisch, Englisch, dann erst Französisch. Der Relaunch bedeutet auch einen Bruch mit der Ära des französischen Produzenten Bruno Barde, der das Festival in Marrakesch zuletzt eher nach Gutsherrenart geleitet haben muss – so kann man es in Gesprächen zumindest zwischen den Zeilen heraushören.

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