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Kultur - 11.05.2019

Der Sound der Achtziger in West-Berlin

Der Dokumentarfilm „B-Movie – Lust & Sound in West-Berlin“ erforscht den Pop-Mythos der Hauptstadt. Eine Expedition mit dem Protagonisten Mark Reeder.

Mark Reeder (rechts) zeigt der TV-Moderatorin Muriel Gray 1984 den Kurfürstendamm.

Ein Marmorbad! Mit einer tiefen Wanne, dazu wunderschöne Armaturen! Mark Reeder steht vor einem Altbau in der Winterfeldtstraße und beschreibt mit ausladenden Armbewegungen, wie das Badezimmer im vierten Stock vor bald vier Jahrzehnten aussah. Auch der Rest der Wohnung beeindruckte den damals 20-jährigen Mann aus Manchester: „Sechs Zimmer, vier Meter hohe Wände und Stuck – so was kannte ich gar nicht,“ sagt er. Das Haus mit der einst grauen, löchrigen Fassade sollte eigentlich abgerissen werden, was zum Glück nicht geschehen ist. Heute strahlt es in Beige und Ziegelsteinbraun. Als jemand aus der großen grünen Holztür kommt, huschen wir schnell in den Flur. Auch hier Marmor, ein rundes buntes Glasfenster über dem Eingang, liebevolle Holzverzierungen.

Mark Reeder war per Anhalter in diese für ihn völlig neue Galaxis gekommen. Weil er den Zug nach Berlin verpasst hatte, trampte er. Der Fahrer schlug ihm vor, in die Wohnung über seiner WG zu ziehen. Alles umsonst, sogar Gas und Strom waren noch angeschlossen. So wurde aus dem britischen Plattenhändler und ausgebildeten Werbegrafiker für einige Monate ein Schöneberger Hausbesetzer. Der Beginn eines großen Abenteuers. Wie es zwischen 1979 und 1989 weiterging, kann man jetzt in dem wunderbaren Dokumentarfilm „B-Movie – Lust & Sound in West-Berlin“ von Jörg A.Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange sehen, der seine Premiere im Panorama-Programm der Berlinale hatte und sofort zu einem Kritikerliebling avancierte.

Alle redeten schlecht über Berlin – das fand Reeder spannend

Mark Reeder war wegen der Musik nach Berlin gekommen. Er wusste, dass David Bowie hier „Low“ aufgenommen hatte und es spannende Bands wie Tangerine Dream gab. „Außerdem hatte auf meinen vorherigen Deutschlandreisen nie jemand gut über die Stadt geredet. Alle fragten, was ich da bloß wolle. Das hat mich fasziniert“, sagt Reeder. Ein weiterer Grund für seinen Abschied aus Manchester: Er war völlig ausgebrannt und brauchte eine Auszeit. Nachdem er seinen Job als Werbegrafiker gekündigt hatte, begann er Vollzeit im Virgin-Plattenladen zu arbeiten. Eigentlich ein Traum: So nah an der neuen Musik, der Lohn wurde zum Teil in Vinyl gezahlt. Reeder war schon als Kind „total besessen von Musik“, kaufte seine erste Platte mit vier und wurde später von seinem älteren Cousin mit in die Abhörkabinen des Plattenladens genommen, lernte The Doors, Jimi Hendrix und Pink Floyd durch ihn kennen.

Als er dann endlich selbst an der Quelle war, verschwanden plötzlich seine Kollegen – der Hippie ging nach Indien und die Frau ins Krankenhaus. „Ich arbeitete den ganzen Tag ohne Pause. Virgin sagte, dass sie leider keine Verstärkung schicken könnten, legten dafür den Plattenpaketen Speed bei. Es war heftig.“ Abends ging er aus oder spielte Bass bei der Punkband Frantic Elevators, deren Sänger Mick Hucknall später mit Simply Red berühmt wurde. Sobald die Gruppe einen Ersatz für Reeder hatte, war er weg.

Blixa Bargeld gibt dem englischen Fernsehen ein mauliges Interview

In West-Berlin wurde der Mann mit den strahlend blauen Augen, der hellblonden Seitenscheitelfrisur und dem Uniformfetisch bald Teil der neuen alternativen Musikszene, was „B-Movie“ in einer Mischung aus nachgestellten Szenen und Dokumentarmaterial erzählt. Am stärksten sind die Aufnahmen, die ein englischer Fernsehsender von und mit Reeder ab Mitte der Achtziger gedreht hat. Die Bänder lagen jahrelang unbeachtet bei Reeder zu Hause. Er gab sie Jörg A. Hoppe, der ihn um Surround-Mixe für eine West-Berlin-Doku gebeten hatte. Als der Regisseur das Material sah, verwarfen er und seine beiden Kollegen ihr ursprüngliches Konzept und machten Reeder zum Protagonisten. Ein genialer Zug, denn so bekommt die eigentlich auserzählte Geschichte einen neuen Dreh – und englischen Witz.

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