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Kultur - 24.06.2019

Der Erste Weltkrieg in Farbe

Geschichte im Überwältigungsmodus: Peter Jacksons Dokumentarfilm „They Shall Not Grow Old“ zeigt die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts erstmals in Farbe und 3D.

Nah dran am Schützengraben. Jackson verwendet auch Originalmaterial des Imperial War Museum.

Viele sehen noch aus wie Kinder. Sie waren 18, 19 oder 20, manche auch erst 16 oder 17 Jahre alt, als sie in den Krieg zogen, der in Großbritannien bis heute „The Great War“ genannt wird. Immer wieder sind die Gesichter dieser Männer, deren Jugend viel zu früh endete, in Großaufnahmen zu sehen. Sie lachen und feixen, winken in die Kamera, manchmal ruft einer: „Wir werden gefilmt!“ Und bald darauf folgen andere Großaufnahmen, wieder von jungen Männern, die allerdings nicht mehr lachen und winken, sondern tot sind. Sie liegen erschlagen, erschossen, von Granaten zerfetzt in Schützengräben, hängen im Stacheldraht oder verrotten langsam im Niemandsland zwischen den Fronten.

„They Shall Not Grow Old“ heißt der Dokumentarfilm des neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson, der die Schrecken des Ersten Weltkriegs in maximaler Wucht zeigt. Jackson wurde mit seiner dreiteiligen Verfilmung der Fantasy-Saga „Der Herr der Ringe“ berühmt, und die Methoden des Überwältigungskinos wendet er nun auch auf das Feld der Geschichtsschreibung an. Rund zwanzig Millionen Menschen starben im Ersten Weltkrieg, der Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Hälfte davon waren Soldaten. Etwa eine Million der Gefallenen stammten aus Großbritannien und den Ländern des British Empire. Aus diesen Zahlen lässt Jackson einzelne Menschen hervortreten. Den Toten, die zu Opfern einer gnadenlos industrialisierten Kriegsführung wurden, möchte er ihre Würde zurückgeben. „Sie springen einfach auf dich los, besonders ihre Gesichter“, hat Jackson in einem Interview über die Protagonisten seines Films gesagt. „Sie verschwinden nicht länger in einem Nebel aus zerkratzten, körnigen und zu schnell laufenden Filmen.“

„They Shall Not Grow Old“, der in Großbritannien und den USA bereits 2018 erfolgreich in den Kinos und im Fernsehen lief, basiert auf Material aus dem Archiv des Imperial War Museum in London. Aus rund hundert Stunden Filmaufnahmen, die britische Teams zwischen 1914 und 1918 drehten, hat Jackson eine Art Best-of-Version von 99 Minuten Länge kompiliert. Beinahe hat der Zuschauer das Gefühl, selbst mit im Schützengraben zu stehen. Eine Suggestion, für die der Regisseur die historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen in 3D konvertieren, größtenteils einfärben und mit einer Geräuschkulisse unterlegen ließ, die vom Wiehern der Trosspferde und dem trockenen Klacken der Gewehrschüsse bis zum ohrenbetäubenden Lärm explodierender Bomben reicht.

Blockbustiger hat sich noch keine Kriegsdokumentation angefühlt, und anders als im althergebrachten Angebot von Fernsehsendern wie dem History Channel braucht Jackson auch keine Experten mehr, die durch sein Reenactment führen. Er versucht gewissermaßen die Geschichte selber sprechen zu lassen. Lippenleser haben entschlüsselt, was die Soldaten in den alten Bildern gesagt haben, meist sind es eher banale Bemerkungen wie „Guck mal, da ist eine Kamera“, die ihnen nun synchronisiert aus dem Mund kommen.

Krieg stellten sie sich als Sportereignis vor

Beeindruckender sind die Erinnerungen von Kriegsveteranen, mit denen das Imperial War Museum und die BBC Interviews geführt hatten. Die Stimmen dieser Überlebenden – im Nachspann werden 120 Namen aufgezählt – machen die eigentliche Tonspur aus. Jackson versteht seinen Film als ein Projekt der „Humanisierung“, er will demonstrieren, dass sich die Soldaten des Ersten Weltkriegs in ihrem Denken, Fühlen und Handeln nicht sehr von uns Heutigen unterschieden haben. Dass ihm das gelingt, ist in erster Linie den anrührenden Schilderungen der Davongekommenen zu verdanken.

„Wir mussten einen Job erledigen, und das haben wir getan“, sagt einer von ihnen. Derlei Lakonie ist typisch für die Erzähler. Der August 1914, in dem der Krieg begann, war in England sonnig und geradezu „lovely“, wie ein Mann anmerkt, der sich, wie Zehntausende seiner Generationsgenossen, gleich nach der Kriegserklärung freiwillig meldete. „Wir hatten keine Angst, das Empire war stark.“ Eben noch hatten die Rekruten als Urlauber Fußball oder Rugby gespielt, auch den Krieg stellten sie sich als Sportereignis vor, das mit einem schnellen Sieg enden würde. Sie lernen in der Ausbildung, mit vollem Sturmgepäck unter Stacheldraht hindurchzukriechen oder mit dem aufgepflanzten Bajonett auf Strohsäcke einzustechen.

Video17.10.2018, 14:28 Uhr00:48 Min.Peter Jackson stellt Doku über den Ersten Weltkrieg vor

Dann, nach der Überfahrt Richtung Frankreich, marschieren die Soldaten durch Landschaften, die immer apokalyptischer aussehen, das Donnern der Artillerie rückt näher. Als sie die Front erreichen, werden die Bilder plötzlich bunt. Ein Effekt, der pathetisch und ein bisschen kitschig wirkt. „Wir waren alle voller Euphorie, niemand hat geweint oder geklagt“, so schildert ein Veteran den Moment seiner Initiation. „Ich dachte nicht, dass ich lebend zurückkehren würde.“

Dass er ein Experte für Schlachtenszenen ist, hat Peter Jackson schon mit seinen Tolkien-Verfilmungen bewiesen, in denen er Heere von Orks und Elben durch epische Kämpfe dirigierte. Danach wurden ihm mehrere Weltkrieg-I-Stoffe angeboten, die er allesamt ablehnte, weil ihn, wie er sagt, Hollywood-Kriegsfilme nicht interessierten. Trotzdem presst er „They Shall Not Grow Old“ in einen Handlungsrahmen, der einem Hollywood-Melodram ziemlich nahe kommt.

Das Zentrum des Films bildet eine vierzigminütige Sequenz, die mit einem britischen Großangriff auf die deutschen Stellungen beginnt und mit dem Einsatz der ersten Panzer und dem alliierten Kriegssieg endet. Dabei benutzt Jackson Material aus den Film „The Battle of the Somme“, den die Wochenschau-Kameraleute G. H. Malins und J. B. McDowell in Zusammenarbeit mit den Kriegsbehörden gedreht haben.

Der Film setzt ganz auf Emotionalisierung

Der Film war zur Stärkung der Kriegsmoral an der Heimatfront gedacht, er lief 1916 in den britischen Kinos und zeigte bemerkenswerterweise nicht bloß die Leichen von feindlichen, sondern auch von eigenen Soldaten. Von der Somme ist in „They Shall Not Grow Old“ allerdings nicht die Rede, wie in dem Film, der ganz auf Emotionalisierung setzt und wo ohnehin Daten und Ortsbezeichnungen fast gänzlich fehlen.

Mit seinen Quellen geht Peter Jackson freihändig um, bei den Fakten arbeitet er mit Auslassungen und Verkürzungen. Trotzdem ist „They Shall Not Grow Old“ sehenswert. Denn ähnlich wie die Romane von A. P. Herbert („The Secret Battle“), Henri Barbusse („Das Feuer“) und Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) führt er vor Augen, was es für Soldaten bedeutet, Krieg zu erleben, zu erleiden.

Der Krieg frisst auch die Überlebenden

Der Tod war allgegenwärtig. „Wir wurden wie Hasen gejagt“, sagt einer. Ein anderer spricht von einem „Jungen“, der neben ihm starb: „Ich werde sein Gesicht nie vergessen.“ Dann stockt er, einer der wenigen Momente des Films, in dem einer aus dem Chor der Krieger mit der Fassung ringt. Das eigentliche Töten und Sterben entzieht sich der Darstellbarkeit. Weil keine Filmbilder vom Nahkampf in den Schützengräben existieren, folgen auf eine Schwarzblende zeitgenössische Zeitungsillustrationen. Heroisch gezeichneter Patriotismus.

Peter Jackson hat den Film seinem Großvater gewidmet, der als Berufssoldat den Ersten Weltkrieg vom Anfang bis zum Ende mitgemacht hat. 1919 wurde er ausgemustert, seine Gesundheit war ruiniert. Der Krieg frisst auch die Überlebenden.

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