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Kultur - 19.03.2019

Den kolonialen Dämon bannen

Purer Ausdruck des Schmerzes: Luk Perceval bringt mit „Black“ in Gent die belgischen Kolonialverbrechen auf die Bühne.

Gruppenbild am Billardtisch. Szene aus „Black“.

Als sich der flämische Kulturminister Sven Gatz vor drei Wochen in Gent bei einem Dekolonisierungsfestival zu einer Entschuldigung für die Gräueltaten der belgischen Kolonialzeit im Kongo durchrang, geschah ein kleines Wunder. Denn das Land und vor allem seine offizielle Politik verdrängt die Kolonialgeschichte entschlossen. Nun legt Luk Perceval am Nationaltheater Gent nach. Er inszeniert entlang der belgischen Nationalfarben eine Trilogie, wobei die Schrecken der Kolonialzeit mit „Black“ den Anfang machen. Stücke über die Kollaboration mit Nazi-Deutschland während des zweiten Weltkrieges (Yellow) und die Terroranschläge von Brüssel (Red) sollen folgen.

Als dem belgischen König Leopold II. das schwarzafrikanische Land bei der Berliner Kongo-Konferenz 1885 als Privatbesitz zugesprochen wurde, begann für die Menschen in dem rohstoffreichen Land ein Martyrium. Mit ungeheurer Brutalität wurde die gesamte Bevölkerung für die Kautschukernte herangezogen. Mit Verstümmelung, Mord und Vergewaltigung reagierte das von den belgischen Kolonialherren ausgehobene Söldnerheer „Force Publique“ auf Unterschreitungen der unerreichbar hohen Fördermenge. Zehn Millionen Menschen starben.

Das Ensemble verfällt immer wieder in Ratlosigkeit

Nicht nur Perceval fordert, Leopold in eine Reihe mit Massenmördern wie Hitler, Stalin oder Pol Pot zu stellen. Warum, fragt sich der Regisseur, gibt es in Belgien immer noch Statuen, die den Ausbeuter Leopold als väterlichen Wohltäter inszenieren. Scham sei das Gefühl, das sein Verhältnis zum Heimatland beschreibt, sagt Perceval. Der Regisseur weiß, dass dem Thema mit Drastik wohl nicht beizukommen ist, nicht mit blutigen Macheten und abgehackten Theaterhänden. Auch der pädagogische Eifer eines aufklärerischen Dokumentartheaters interessiert ihn nicht. Er vertraut auf ein Gruppenbild, das eher einer musikdramaturgischen Logik folgt, als einer historischen Chronik. Ein Bild, das immerfort sagen will: Na schaut mal, ihr Weißen mit dem nach Jahrhunderten des Rassismus zerstörten Blick.

So wiegen sich vier weiße Schauspielerinnen und Schauspieler zunächst einmal auf der Vorderbühne und singen einen Gospel-Blues. Der Beginn des Theaterabends über die Schrecken der belgischen Kolonialzeit beginnt mit einem afroamerikanischen Klischee. Wir schreiben das Jahr 1890. Einer aus der Mitte dieser amerikanischen Südstaatengemeinde wird sich auf den Weg machen in den Kongo. Es ist der schwarze Priester und Missionar William Henry Sheppard, der Jahre später, nach seiner Rückkehr in die westliche Welt, mit seinen Berichten einen wesentlichen Beitrag zum Ende des weißen Terrorregimes im Kongo leistet. Der historische Sheppard wurde Zeuge von Misshandlungen, Vergewaltigungen, Verstümmelungen und Morden durch das Kolonialregime.

Nach Momenten größter Erregung verfällt das Ensemble immer wieder in Ratlosigkeit. So, als wollte dieses Theater auch seine Unzulänglichkeit beim Umgang mit dem Thema demonstrieren. Vom Bühnenboden hängen zahllose Seile herab, in der Mitte steht ein großer Billardtisch, auf dem sich das Ensemble gelegentlich zum Gruppenbild versammelt. Menschen im Regen, Stillstand, der sehr lange dauert. Abstraktes Urwalddekor mit Resten westlicher Zivilisation. Hintergrund für demonstratives Spiel mit der Lächerlichkeit.

Auf das Flüstern folgen Schreie

Einmal turnt Peter Seynaeve mit weisem Kleidchen über die Bühne und führt seine Vision eines flämischen Dorfes inmitten des Kongo vor. Er deutet an, wo zu Ehren der ersten belgischen Königin die Avenue Louise verlaufen, wo der Kartoffelacker und wo das Tomatenbeet sein sollen. Er ist hier allenfalls eine Karikatur des historischen Sam Lapsley, einem etwas schwächlichen Mann, der die Mission nicht überlebte. Die Presbyterian Church hatte Sheppard zur Auflage gemacht, dass ihn ein Weißer zu begleiten habe. In einer anderen Szene inszeniert Perceval mit bitterem Zorn mit Kindergeflüster eine Persiflage weißer Ideologie.

Auf das Flüstern folgen Schreie, aus dem Schrei wird Stille. Mit entfesseltem Furor treibt Theatermusiker Sam Gysel per Schlagzeug das Geschehen an und lässt es mit der elegischen Gitarre wieder ermatten. Erst ganz am Ende des flämisch-, englisch- und französischsprachigen Abends ist die bittere Farce beendet. Nun spricht der schwarze Schauspieler Nganji Mutiri seinen Text über ein neues Denken, eines, das Rassen gar nicht mehr kennt. Dann singt Andie Dushime herzergreifend ihre Version des Beatles-Songs „Blackbird“. Vom Klischee des Anfangs ist jetzt nichts mehr zu spüren. Das Publikum ist in Afrika angekommen, im puren Ausdruck des Schmerzes, im plötzlichen Konsens von Menschen mit schwarzer und weißer Hautfarbe.

Zwischen theatraler Schockstarre, versöhnungstrunkenem Ideal und böser Persiflage geht das Projekt der Dekolonisierung des Blickes irgendwie verloren. So als verließe Perceval beim Versuch, den kolonialen Dämon der belgischen Gesellschaft zu bannen, der Glaube an die Kraft des Theaters.

weitere Termine unter www.ntgent.be

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