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Kultur - 22.06.2019

Das Kapital auf hoher See

Christian Jostmann porträtiert den Weltumsegler Ferdinand Magellan als draufgängerischen Spieler.

Nobelmann. Magellan, anonym porträtiert (15./16. Jhdt.).

Als die Schiffe „Trinidad“ und „Vitoria“ im November 1521 auf den Molukken ankommen, ist ihr Kommandant Ferdinand Magellan (oder Fernão de Magalhães), einer der großen Seefahrer der Neuzeit, schon ein halbes Jahr tot. Drei weitere Schiffe sind verloren gegangen, unzählige Seeleute haben ihr Leben verloren. Aber die Überlebenden haben als Erste die Südspitze Südamerikas umrundet und in einer dreimonatigen Höllenfahrt den Stillen Ozean durchquert. Und dann, auf diesen Inselchen in der Bandasee, am äußersten Punkt, den die Portugiesen im Osten jemals erreicht haben und den die spanischen Schiffe nun erstmals aus dem Westen erreichen, verständigt sich plötzlich ein muslimischer Händler fließend mit einem der Sklaven der Europäer – und zwar auf Persisch. Denn die Europäer sind bei Weitem nicht die Ersten, die dort nun Handel treiben. Perser, Araber und Chinesen waren lange vor ihnen da. Der Moment schließt nichtsdestoweniger das globale Handelsnetz, das die Kolonialzeit bestimmen soll. Die Erde ist umrundet.

Wer sich bisher über Magellan informieren wollte, stieß schnell auf Stefan Zweigs Biografie „Der Mann und seine Tat“ von 1938. Jetzt hat der Historiker Christian Jostmann eine neue Biografie vorgelegt. Zweigs Buch lebte von einer Entscheidung ihres Autors: Nicht Kolumbus, „dieser naive und weltfremde Fantast“, sondern Magellan war für ihn der „größte Seefahrer der Geschichte“. Der Emigrant Zweig identifizierte sich zudem mit dem „Emigranten“ (als Portugiese in spanischen Diensten). Zweigs Technik der Identifikation mit seinem Helden führte ihn aber in fatale Untiefen. Der erklärte Humanist überhöhte seinen Helden derart, dass er schließlich Magellans Tod durch eine „nackte Insulanerhorde“ auf der Philippineninsel Mactan, angeführt von dem „Menscheninsekt Silapulapu“, für eine welthistorische Zumutung halten musste.

Wer stand hinter Magellan?

Zweigs Buch blieb nicht das letzte Wort. Zwischen einer Handvoll Jugendbüchern und historischen Romanen gibt es unter anderem Rüdiger Sieberts Recherche „Tod auf Mactan“ von 1982. Magellan erscheint darin als Agent des europäischen Kolonialismus, tritt aber als Person in den Hintergrund. Siebert stellt dafür Fragen, die nötig sind: Wer waren die Menschen, auf die Magellan und seine Leute in der Fremde trafen? Wer stand hinter ihm? Und welche Konsequenzen hatte sein Abenteuer für die Philippinen?

Warum nun noch einmal die Form der Biografie für ein derart global zu betrachtendes Geschehen? Vielleicht, weil sich vom historisch Erwartbaren doch eine individuelle Persönlichkeit abhebt. Jostmann gelingt dies, im Wissen, dass „auch jemand, der einen Mythos hinterfragen will, selbst nur wieder eine Geschichte erzählen kann“.

Fast 30 Jahre nach der ersten Fahrt der Santa Maria war Magellans Expedition nach Westen aufgebrochen. Die spanische Eroberung der Karibik war in vollem Gang, portugiesische und spanische Schiffe waren bis zur La-Plata-Mündung vorgedrungen, im Norden waren Schiffe unter englischer Flagge an die Küste des heutigen Kanada gelangt. Im Osten hatten portugiesische Seefahrer schon Jahre vor Kolumbus eine Passage nach Indien entdeckt: Um die Südspitze Afrikas herum waren sie nach Mosambik und Mombasa, nach Goa und Kalikut gesegelt. Magellan, aus niedrigem Adel, nahm Teil an der rasend schnellen und gewaltsamen portugiesischen Expansion in Südasien, bis hin zur Eroberung Malakkas 1511. Der Ostweg zu den Molukken stand den Portugiesen offen, den Spaniern verbot der Papst, hinterherzusegeln. Sie suchten daher den Westweg. Dass sie dabei auf Amerika trafen, ist bekannt. Aber sie suchten vorerst noch die Passage, die an dieser unerwarteten Landmasse vorbei zu den Gewürzinseln führte.

Der frühe Kapitalismus ist der Motor der Entdeckungsreisen

Magellans Lehrjahre in Indien dienen Jostmann, um in die fremde Welt der frühen Neuzeit einzuführen. Nautische, ökonomische, politische und kulturgeschichtliche Fakten schaffen die Voraussetzungen für die Beschreibung der Weltumseglung. Überraschend ist dabei der Einblick, den das Buch in die Handelsströme der Alten Welt gewährt. So sind auf Magellans Schiffen nicht nur Spanier und Portugiesen, sondern auch Italiener, Iren, Deutsche, zudem Sklaven aus Asien und Afrika. Auch das Geld, mit dem die Expedition finanziert wird, ist Risikokapital aus ganz Europa.

Schon Zweig hatte den frühen Kapitalismus als Motor der Entdeckungsreisen identifiziert. Aber Jostmann nimmt es genauer. Er wirft mehr als einen Blick in die Buchführung und rechnet die Investitionen und Erträge nach. Ein Ergebnis: Magellans Reise war unterm Strich kein wirtschaftlicher Erfolg, wie manchmal zu lesen war. Auch war der Westweg zu den Molukken nicht der erhoffte langfristige Trumpf im Wettkampf mit den Portugiesen, die dort vorerst die dominante europäische Handelsmacht blieben.

Dass die Passage über den Pazifik entdeckt war und mit ihr die Philippinen, die bald dem spanischen Kolonialreich einverleibt wurden – das freilich ist eine Errungenschaft der Expedition. Bald schon gab es eine regelmäßige Schiffsverbindung zwischen Panama und den Philippinen. Allerdings lag der Fokus der spanischen Expansion inzwischen in Amerika, wo Cortés fast zeitgleich mit Magellans pazifischem Abenteuer das Aztekenreich zerschlug. Die transpazifischen Eroberungen Spaniens standen im Schatten dieses kolonialen Projekts, das bald von Kalifornien bis Feuerland reichte. In vielen Details rekurriert Jostmann kritisch auf das historische Wissen über die Epoche. Statt eines Heldenepos entsteht so das Porträt eines „Spielers, der hohes Risiko nicht scheute und mitunter alles auf eine Karte setzte“.

Chrisian Jostmann: Magellan oder Die erste Umsegelung der Erde. C. H. Beck, München 2019. 336 S., 24,95 €.

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