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Kultur - 22.03.2019

Dann mach ich es eben selbst

Die Berliner Musikerin Kitty Solaris betreibt ein Label und eine Konzertreihe. Sonntag stellt sie ihr neues Album „Cold City“ vor. Ein Treffen.

Warm anziehen in kalten Zeiten. Kirsten Hahn alias Kitty Solaris lebt seit Mitte der Neunziger in Berlin.

Beige, weiß, rosa – wer von der Invalidenstraße in die Ackerstraße einbiegt, sieht ausschließlich gepflegte Fassaden und hübsche Geschäfte. Kurz vor der Torstraße dann die einzige dunkelgraue, raue Ausnahme: Wie ein Schmuddelkind zwischen lauter Strebern steht hier die Nummer 169. Als sei die Zeit in den Achtzigern stehen geblieben und Berlin-Mitte nie gentrifiziert worden, zeigt das 1881 errichtete Haus trotzig seine Bröckelhaut. Dass es einiges durchgemacht hat, lässt sich an einer Chronik neben dem Eingang nachlesen. Im Erdgeschoss und im ersten Stock sind Spruchbanner aufgespannt. „No pasarán!“ steht da in roten Lettern. Weiter oben „No border, no nation“.

Ein widerständiger Verein betreibt in dem Gebäude seit Anfang der Neunziger den Schokoladen. Die drei hintereinanderliegenden Räume mit Bühne, Bar und Kicker vermitteln noch immer eine Ahnung der damaligen Off-Kultur, während andere legendäre Läden wie der Eimer oder die Assel längst geschlossen sind. Ein Klassiker im Programm des Schokoladens ist die Lofi-Lounge, bei der zweimal im Monat Indie-Künstlerinnen und -Künstler auftreten. Organisiert wird die Reihe von der Musikerin Kitty Solaris, die dem Schokoladen in Sachen Durchhaltepower und munterem DIY-Geist in nichts nachsteht.

Über 60 Alben sind auf Solaris Empire erschienen

An einem frühen Mittwochabend kommt sie zur Tür herein, als gerade der Soundcheck des Berliner Wahlfranzosen Aurélien Bernard alias 3 South & Banana läuft. Er wird später bei der Lofi-Lounge spielen. Solaris begrüßt ihn und alle anderen, die schon hier herumwerkeln, und setzt sich dann zum Gespräch in den Kickerraum. Erst mal schwärmt sie ausgiebig von Bernard, der auf der Bühne mit einer tollen Filmprojektion arbeite.

Die Begeisterung für Kolleginnen und Kollegen ist ein hervorstechender Zug von Kirsten Hahn alias Kitty Solaris. Er manifestiert sich nicht nur bei der Lofi-Lounge, sondern auch im Label Solaris Empire, das sie 2008 gegründet hat. Ursprünglich, um ein eigenes Album herauszubringen, hat sie dort inzwischen über 60 Werke veröffentlicht – von Toni Kater über Kat Frankie bis zu Lasse Matthiessen oder Sophia Härdig reicht die lange Liste von Songwritern und Indiepop-Acts. Auch „Cold City“, Kitty Solaris’ sechstes Studioalbum, reiht sich hier ein. Es ist Ende Februar erschienen, das Record-Release-Konzert findet am Sonntag in der Berghain Kantine statt. Unterstützt wird Kitty Solaris dabei von Schlagzeuger Steffen Schlosser, Gitarrist Rico Repotente und Keyboarder Rod Miller.

Mit Schlosser arbeitet Solaris schon seit vielen Jahren zusammen. So war er auch im Lovelite Studio bei den Aufnahmen zu „Cold City“ dabei, das deutlich rockiger klingt als der Vorgänger „Silent Disco“ vor drei Jahren. „Wir wollten eine Platte machen, die rüberbringt, wie wir auf der Bühne klingen“, erklärt Kitty Solaris. „Gitarre, Schlagzeug und Gesang haben wir deshalb gleichzeitig live aufgenommen.“ Später kamen noch Percussion-, Keyboard- und Cellospuren hinzu. Bei einigen Stücken ist zudem eine Bassklarinette zu hören, die etwa dem melancholischen „Life in a Dream“ mit ihrem sanften Motiv eine zusätzliche Tiefe verleiht. Kitty Solaris hatte den Saxofonisten und Klarinettisten Lucio Capese bei einem Lofi-Lounge-Konzert kennengelernt und sich im Studio an ihn erinnert. Solche kurzen Wege sind typisch im Solaris-Kosmos: Künstlerinnen des Labels treten im Schokoladen auf, andere entdeckt Kitty Solaris dort für das Label. Ums Geld geht es ihr bei der Lounge nicht, sondern darum, „eigene Strukturen zu entwickeln und eine gewisse Unabhängigkeit zu haben“.

Sie studierte in Berlin und entdeckte ihre Liebe fürs Musikmachen

Mit dieser Taktik hat sich die in Marburg geborene Musikerin zu einer veritablen Berliner Underground-Größe entwickelt, seit sie Mitte der Neunziger zum Studieren in die Stadt kam. Den Magister in Soziologie, Literatur- und Erziehungswissenschaften hat sie zwar gemacht, doch vor allem wuchs damals ihre Lust am Musikmachen. Erst allein mit der Gitarre in der Küche, dann mit einer Band und nach deren Ende wieder allein. „Songs zu schreiben, ist meine Leidenschaft. Es entspannt mich“, sagt Solaris, die mit Ausnahme weniger früher Lieder immer auf Englisch singt.

Eingängige kurze Popstücke sind ihre Stärke. „Shimmering“, der Abschlusssong der neuen Platte, ist ein kleines Juwel, bei dem Solaris mit viel Hall auf dem wehmütigen Gesang zur Streicher- und Akusitkgitarrenbegleitung vom Ende einer Liebe singt. Wie „Goldmine“ aus seiner munter voranzuckelnden Strophe in einen düster schillernden Refrain kippt und sich schließlich in ein jazziges Finale wendet, hat große Verführungskraft. Am Beginn der Platte scheint Kitty Solaris’ Bewunderung für die britische Musikerin PJ Harvey durch. So klingen die Gitarren des Eröffnungssongs „Cold City“ wie eine Hommage an deren Meisterwerk „Stories From The City, Stories From The Sea“ (2000). Kitty Solaris singt: „It’s a cold cold city, Rock ’n’ Roll city/ Excuse me if I’m not pleased/ It’s a cold cold city, Rock ’n’ Roll city/ Still stuck in Berlin“.

Eine nasskalte Nacht, in der sie frustriert vom langen Winter über die Warschauer Brücke gelaufen sei, habe sie zu dem Lied inspiriert, erzählt Kitty Solaris. „Ein Brite sang etwas von ,cold city‘ vor sich hin. Und ein Touri im T-Shirt tanzte mit einer Sektflasche auf der Kreuzung herum“, erinnert sie sich. Sie hat es als Zeichen des Berlin-Hypes gedeutet. Den mag Solaris aber nicht verteufeln, schließlich kommen auch viele tolle Musikerinnen und Musiker aus aller Welt hierher – für sie sei Berlin immer noch eine bezahlbare Oase für ihre Kreativität. „Andererseits explodieren die Mieten, das Nachtleben wird teurer und mainstreamiger“, sagt sie. Bands müssten inzwischen oft die Clubs mieten, wenn sie auftreten wollten. „Pay to play“ heiße diese Prinzip, das natürlich nicht für den Schokoladen gilt.

Die Gentrifizierung macht ihr manchmal Angst. Bisher habe sie aber noch Glück gehabt, obwohl ihre Wohnung in Prenzlauer Berg schon mehrmals verkauft wurde. Den Kleinkrieg, den eine englische Eigentümerin gegen sie anzettelte, weil deren Neffe in die Wohnung einziehen sollte, hat sie gewonnen. Allerdings musste sie dabei zwei Jahre ohne Heizung überstehen, nachdem die Schornsteine ihrer Kohleöfen abgerissen worden waren. Im Winter wärmte sich Kitty Solaris am Gasherd. Irgendwann verkaufte die Frau die Wohnung weiter. Die Zähigkeit einer Berliner Underground-Königin sollte nie unterschätzt werden.
„Cold City“ ist bei Solaris Empire erschienen. Konzert: Berghain Kantine, 24. 3., 21 Uhr

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