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Kultur - 17.06.2019

CGI-Riesen und KI-Babys

Chorperformance: Die Computermusikerin Holly Herndon tritt in der Berliner Volksbühne mit ihrem großartigen neuen Album „Proto“ auf.

Holly Herndon

Beim vorletzten Stück gesteht es Holly Herndon: Sie habe Spawn, ihr KI-Baby, leider nicht mit in die Volksbühne bringen können. Es sei noch nicht fit für eine Performance. Bis dahin durfte man spekulieren: Welche Stimmen singt der Chor? Und welche eine künstliche Intelligenz? Man konnte sich freuen auf ein intimes Geben und Nehmen zwischen Mensch und machine learning, von dem Herndon in Interviews erzählt hatte. Herndon stammt aus einem Kaff in Tennessee, lebt seit langem in Berlin und ist diplomierte Computermusikerin – und zwar eine der einflussreichsten dieser Tage. Die Live-Umsetzung von Studiomusik ist in ihrem Metier ein Wagnis. Dem versucht Herndons neues, großartiges Album „Proto“ beizukommen, indem es vor allem auf den Kehlkopf setzt: Die Platte wurde mit einem Gesangsensemble erarbeitet, darunter als gleichberechtigte Akteurin Spawn, die erwähnte nicht-menschliche Intelligenz. Live öffnet sich der gesamte Bühnenraum für das Publikum. Herndon steht mit fünf Vokalistinnen auf Podesten, die mit Gittern an den Seiten wie Käfige wirken. Dahinter, im Nebel und E-Zigaretten-Dampf abgetaucht, ihr Partner Mat Dryhurst. Darüber eine Leinwand mit Videoprojektionen.

Am Horizont ringen zwei CGI-Riesen miteinander. Kain und Abel? Alphabet und Apple? Ein Mantelgeist schleppt sich, von Pfeilen durchbohrt, durch den Digitalwald. So könnte man sich die Anime-Version eines „Game Of Thrones“-Spin-offs vorstellen. Archaische Elemente sind auf Herndons neuem Album so wichtig wie die Technik, nämlich als Sinnbild für evolutionäre Prozesse, die heute auch Prozessoren betreffen. Die Videos brechen diese Zusammenhänge auf ein Bild herunter: Mittelaltermarkt, Grabbelkiste. Die grandiosen harmonischen Chorgesänge mit Elektroverschaltung lassen vor diesem Budenzauber Erinnerungen an Enya-Hits hochkommen. Die Kostümierung der Performerinnen in Lumpen-Outfits macht es nicht besser.

Das tut der Musik nicht gut, die am ergreifendsten ausgerechnet dann wird, wenn die Technik ganz außen vor bleibt. Einmal scharen sich die Sängerinnen in einem Podest-Käfig umeinander, erheben ihre Stimmen, ohne Mikrofon, und schmettern ein altes Kirchenlied unter die Decke der Volksbühne. „We travel through the wilderness…“ Gänsehaut.

Aber Herndon bittet das Publikum, dem abwesenden KI-Baby ein Ständchen zu singen. Ein Ensemblemitglied singt vor, das Publikum singt nach, ein Digitalrecorder nimmt auf: „Oh, keep us safe!“ Noch steht nicht fest, was der Algorithmus darauf antwortet.

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