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Kultur - 13.01.2019

Bloß weg aus Europa

Gorki-Theater: „Die Nacht von Lissabon“ nach Erich Maria Remarque verknüpft Emigrantenschicksale mit Reisen der Gegenwart.

Kreuzfahrt mit Kapelle. Anastasia Gubareva, Dimitrij Schaad und die Musiker zeigen reichlich Körpereinsatz.

Wenn das kein denkwürdiger Auftakt fürs Bühnenjahr 2019 ist: Zu Beginn der „Nacht von Lissabon“, der ersten Premiere des neuen Jahres, steht der Schauspieler Dimitrij Schaad mit nacktem Oberkörper an der Rampe des Berliner Maxim Gorki Theaters. Selbstironisch setzt er seine Bauchregion in Szene und schaut an sich herab. „Wie Sie sicherlich bemerkt haben“, kommentiert er das, was er da sieht, lakonisch, „steht dieser Körper für Europa: aktuell noch obere Mittelklasse, aber in ein paar Jahren geht es steil bergab“.

Wer sich als Zuschauer von dieser schauspielerischen Aufwärmübung bereits zu Szenenapplaus hinreißen lässt, tut das – und es trifft viele – nicht ungestraft. „Applausflittchen“, witzelt Schaad ins Parkett hinunter und fokussiert erneut seinen Bauch: In keinem anderen Theater der Welt, erklärt er den Klatschern mit Nachdruck, gäbe es dafür Beifall!

Womit der Grundton gesetzt wäre für die Flucht- und Liebesgeschichte, die er anschließend mit Bühnenpartnerin Anastasia Gubareva reichliche zwei Stunden lang erzählen wird. In performativer Höchstenergie und dem festen Willen, der immensen Dramatik und prinzipiellen Tragik des Geschehens stets auch den sprichwörtlich überlebensnotwendigen Humor abzuringen.

Ein Emigrant erzählt im Jahr 1942 sein Leben

Der Abend stößt sich ab von Erich Maria Remarques Roman „Die Nacht von Lissabon“. Dort erzählt ein Emigrant, Schwarz, einem anderen im Jahr 1942 sein Leben: Die Flucht aus NS-Deutschland quer durch Europa. Erst allein, dann mit seiner Frau Helen, derentwegen er noch einmal unter geradezu selbstmörderischen Gefahren zurückgekehrt war. Durch Verstecke, Verhöre und Internierungslager bis an die portugiesische Küste, wo, für die meisten unerreichbar, am nächsten Tag ein Schiff in die USA ablegen wird. Ein Schiff, für das Schwarz zwei Tickets erkämpft hat, die er jetzt nicht mehr braucht. Weil sich seine Frau, die dem Krebstod zuvorkommen will, soeben das Leben genommen hat.

Der Regisseur und Autor des Abends, Hakan Savas Mican, vollzieht die Reiseroute aus heutiger Sicht gleichsam eigenfüßig nach und nimmt Kernpassagen des Romans als Ausgangspunkt für eigene Betrachtungen. Die kulminieren zwar durchaus nicht immer in schlagenden Pointen und sind manchmal auch eher von Privat- als gesamtgesellschaftlichem Interesse. Zum Beispiel, wenn Schaad als selbstironischer Sonnenbrillen-Macho von sympathisch-karikaturesken Gnaden vorspielt, wie der Regisseur sich in Paris vor einem Treffen mit seiner Exfreundin statt einfachen Mutes eher schon Übermut antrinkt, bevor die heiß Erwartete endlich im Kneipen-Türrahmen steht: als strahlende und definitiv unerreichbare Schönheit mit einem Kind an jeder Hand.

Nichts wird didaktisch aufgepfropft

Aber andererseits hat das natürlich den Charme des (bekanntlich nicht per se spektakulären) Glaubwürdigen: Hier wird garantiert nichts didaktisch aufgepfropft. So, wie auch Benjamin Kriegs-Video-Projektionen Assoziationsräume ausdrücklich öffnen wollen: Man sieht immer wieder das Meer, mal mit Surfer oder Kreuzfahrtschiff, oft aber einfach nur singulär, riesig und weit. Oder Metropolen-Bilder: ameisengleiche Menschenmengen, zeitlos und gedanklich so weiträumig wie möglich.

So eigenwillig Micans Bühnenfassung zwischen den Remarque-Romanpassagen und seinen aktuellen Reiseeindrücken hin und her springt (und dabei manchmal auch durchaus klappert), so eigen ist die Spielweise, die Schaad und Gubareva dafür finden. Begleitet lediglich von den Live-Musikern Lukas Fröhlich, Michael Glucksmann, Wassim Mukdad und Peer Neumann. Selbst in den romantreuen Passagen sind die Figuren, die das komplette Romanpersonal zu zweit schultern, bei ihnen immer schon extrem heutigkeitsdurchlässig. Ganz gleich, ob Gubareva eine frühweise-lakonische Helen gibt oder ob Schaad im Alleingang existenzielle Zweikämpfe ausficht: Das sieht man selten.

Wie der Schauspieler etwa im physischen Hardcore-Kontakt mit Tischen und Wänden eine blutige Auseinandersetzung mit Helens Bruder darstellt, der ihn einst ins Konzentrationslager gebracht hatte: das ist allerhöchster Körpereinsatz. Und eine innovative szenische Lösung sowieso. Gubareva kontert diese Hyperenergie vergleichsweise minimalistisch: als Frau, die, wiewohl noch nicht alt, ziemlich viel vom Leben weiß, ohne das permanent auf dem Servierteller vor sich hertragen zu müssen. Es reicht ja, wenn man, wie Gubareva es eindrücklich beherrscht, 27 verschiedene Facetten in einem kurzen Blick oder einer zielsicheren Geste aufblitzen lassen kann.

Maxim Gorki Theater, wieder am 17. und 24. Januar

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