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Kultur - 23.03.2019

Auf dem Obersalzberg

Heike B. Görtemaker zeigt in ihrem neuen Buch, wie Hitler Anhänger um sich scharte. Sie wirkten auch nach seinem Tod weiter.

Der deutsche Diktator begrüßt die englische Königsfamilie auf seiner Residenz in Obersalzberg, 1937.

Im Jahr 2010 erschien Heike B. Görtemakers Biografie über Eva Braun. Das Buch war außerordentlich erfolgreich, es wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ein Blick in die Bibliografie ihres neuen Buches beantwortet die Frage, was die Autorin in den neun Jahren seither gemacht hat. Sie hat eine eindrucksvolle Zahl von Archiven in Europa und den USA aufgesucht und sich durch eine Fülle von Quellen gearbeitet. Zudem hatte kurz nach Erscheinen des Buches über Eva Braun der Sohn von Nicolaus von Below mit der Autorin Kontakt aufgenommen. Below war vom Sommer 1937 bis zu seinem Tod Hitlers Luftwaffenadjutant gewesen und gehörte so, zumal in den letzten Jahren, zum innersten Zirkel der Entourage des Diktators.

Below hatte schon im vorigen Buch eine wichtige Rolle gespielt. Aber nun verschaffte der Sohn Claus Dirk von Below der Autorin Zugang zu den noch gesperrten Nachlässen seiner Eltern, die „als aufrechte Nationalsozialisten“ gestorben waren. Rasch wurde Görtemaker klar, dass der „Führerkreis“ (Albert Speer) auch nach Hitlers Tod noch lange weiterexistiert und, das gilt namentlich für Speer, das Bild der nationalsozialistischen Herrschaft mitgeprägt hatte. Below junior war in diesem Kreis aufgewachsen. Der erste Teil des neuen Buches ist deshalb der Entstehung von „Hitlers Kreis“ gewidmet, der dritte und letzte heißt, in Anlehnung an Ulrich Raulffs Monografie über Stefan Georges Nachleben, „Kreis ohne ,Führer‘ “. Der Mittelteil des Buches ist der „Berghof-Gesellschaft“ gewidmet, die auch schon in der Eva-Braun-Biografie eine wichtige Rolle gespielt hatte.

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In Joachim Fests 1973 erschienener Hitler-Biografie gibt es einen Abschnitt „Blick auf eine Unperson“. Dort ist von Hitlers „sozialer Beziehungslosigkeit“ die Rede: „Je höher er stieg, desto mehr weitete sich der menschenleere Raum um ihn herum.“ Er sei sozial isoliert und zu persönlichen Kontakten unfähig gewesen. Wie so viele Legenden, die Fest unter dem Einfluss Speers in die Welt gesetzt hat, ist auch dies barer Unsinn. Heike Görtemakers gründliche Untersuchung beweist es eindrucksvoll. Sie zeigt auch, dass Hitler schon früh nicht nur Trommler, sondern auch Führer sein wollte und deshalb konsequent Schlüsselpositionen mit Personen seines Vertrauens besetzte.

Auf dem Obersalzberg entwickelte sich seit den späten zwanziger Jahren um das später „Berghof“ genannte Haus Wachenfeld immer mehr ein zentrales Aktionszentrum Hitlers. Er hielt sich immer wieder längere Zeit dort auf, aber nicht, um dort ein erholsames Leben jenseits der Politik zu führen. Vielmehr scharte er seine Hofschranzen um sich, hielt nach der „Machtergreifung“ Besprechungen mit militärischen Führern ab und empfing bisweilen sogar Staatsgäste. Ab 1937 gab es im nahen Berchtesgaden sogar eine Zweigstelle der Reichskanzlei. Der Raum dort war alles, nur nicht menschenleer: „So versammelten sich an Wochenenden, Feiertagen, während der Urlaube im Sommer, vor den Reichsparteitagen und über Silvester etwa fünfzehn bis zwanzig Personen um den NS-Führer – Diener, Bewacher und weiteres Personal nicht eingerechnet. Die Hälfte davon waren Frauen.“ Stets dabei war Eva Braun, deren Rolle an Hitlers Seite bis zum Erscheinen von Görtemakers Biografie weithin unterschätzt worden war.

Auch Hitlers Chauffeur und Pilot werden beleuchtet

Die Autorin nimmt die Männer, die in der frühen Zeit eine wichtige Rolle spielten und später zu Prominenz gelangt sind, wie Röhm, Rosenberg, Göring oder Goebbels, ebenso in den Blick wie weniger prominente, aber wichtige Personen wie die Gruppe der Adjutanten Fritz Wiedemann, Wilhelm Brückner und Nicolaus von Below. Auffallend ist allerdings die gänzliche Abwesenheit von Arthur Kannenberg, Hitlers Hausintendant in der Reichskanzlei von 1933 bis 1945, der für den gesamten „Führerhaushalt“ Verantwortung trug und Hitler bei Bedarf auch auf dem Berghof, im Führerhauptquartier und zuletzt im Bunker der Reichskanzlei zur Verfügung stand.

Auch der Chauffeur Julius Schaub und der Pilot Hans Baur, die Hitler naturgemäß sehr oft nahe waren, werden in ihrer Bedeutung erklärt, ebenso die Sekretärinnen Christa Schroeder und Traudl Junge, die es schon in früheren Jahren nicht zuletzt durch eigene publizistische Bemühungen zu einiger Bekanntheit gebracht haben. Hitlers Rechtsanwälte kommen dagegen in der Untersuchung überhaupt nicht vor. Dabei hätten sie die Darstellung gut ergänzt. Lorenz Roder war vor allem in den frühen Jahren von Bedeutung. Er verteidigte immer wieder nationalsozialistische Straftäter und Angehörige von Schlägertrupps der SA. 1924 war er bei dem Prozess, der dem Hitler-Ludendorff-Putsch folgte, der Strafverteidiger von Hitler, Frick und Pöhner vor dem bayerischen Volksgericht und er besuchte Hitler anschließend mehrfach in der Landsberger Festungshaft.

Hans Frank organisierte die Gleichschaltung der Justiz

Noch größere Bedeutung kommt Hans Frank zu, der am Marsch auf die Feldherrnhalle selbst teilgenommen hatte, nach seinem Staatsexamen 1926 bald zu Hitlers wichtigstem Rechtsbeistand wurde und später eine bedeutende Karriere machte, die ihm 1946 in Nürnberg eine Verurteilung zum Tod durch den Strang einbrachte. Er war nicht nur der persönliche Anwalt des „Führers“, er organisierte später als Reichsminister ohne Geschäftsbereich auch die Gleichschaltung der Justiz.

Der zweite Teil des Buches über die Zeit von 1933 bis 1945 endet bereits mit dem Attentat vom 20. Juli 1944. Dies, obwohl Hitler die letzten Monate seines Lebens in der Reichskanzlei und im Führerbunker verbracht hat, wo ihm ein Teil seines Hofstaates noch einmal sehr nahe war. Einige wie Joseph Goebbels und seine Familie und die ihm einen Tag zuvor angetraute Eva Braun gingen dort auch mit ihm in den Tod. Dieses Geschehen ist allerdings in Görtemakers vorausgehendem Buch bereits ausführlich dargestellt worden.

Nicht nur Mitläufer

Das Thema des neuen Buches ist Hitlers Hofstaat, seine Entstehung, seine Funktion und Bedeutung in der NS-Zeit und sein Weiterwirken nach Kriegsende. Görtemaker zeigt, dass viele dieser Personen entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung nicht nur Mitläufer, sondern auch Mittäter waren. Sie glaubten an ihren „Führer“, die meisten auch über seien Tod hinaus. Für den Diktator, der die eigene Familie auf Distanz hielt und sich lieber mit Menschen umgab, die er kontrollieren konnte, hatten sie als Ersatzfamilie, die ihm Rückhalt gab, große Bedeutung. Deswegen spielten auch die Ehefrauen, etwa Magda Goebbels, Emmy Göring und Ilse Heß, eine wichtige Rolle. Magda Goebbels, so Görtemaker, trug maßgeblich zu der engen Verbindung bei, die sich im Lauf der Zeit zwischen ihrem Mann und Hitler entwickelte. Dieser revanchierte sich, indem er seinem Propagandaminister kategorisch untersagte, sich von seiner Frau zu trennen.

Die Analyse des innersten Zirkels, der den Diktator umgab und der bisher in der Forschung nur selten Beachtung gefunden hat, ist gründlich und fundiert, wovon nicht zuletzt ein sehr umfangreicher Anmerkungsapparat zeugt. Erwähnenswert ist auch die Bebilderung, die jenseits des üblichen Kanons eine Fülle interessanter Aufnahmen zeigt, die oftmals einem eher privaten Kontext entstammen. Der Werbeslogan des Verlages, das Buch sei eine Dekonstruktion des „Führermythos“, ist etwas hoch gegriffen. Aber die Darstellung bereichert unser Bild des nationalsozialistischen Diktators um wesentliche Facetten. Lesenswert ist sie allemal.

Heike B. Görtemaker: Hitlers Hofstaat. Der innere Kreis im Dritten Reich und danach. C.H. Beck Verlag, München 2019. 528 S., 28 €.

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