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Kultur - 19.05.2019

Anmut und Geschmeidigkeit

Antonio Canova war ein Meister der klassizistischen Skulptur. Eine außergewöhnliche Schau in Neapel zeigt seine Werke nun Seite an Seite mit den antiken Vorbilder.

Aus dem Marmor hervorschmeicheln. Canovas „Drei Grazien“, geschaffen 1812 im Auftrag von Joséphine de Beauharnais, stehen heute in…

Im Zenit seines Ruhms stellte man seine Skulpturen in den Vatikanischen Museen neben die der Antike. In ihm glaubte man einen der Meister der griechischen Bildhauerei wiedergeboren zu finden: Antonio Canova. Er wurde und war der unbestrittene Meister der klassizistischen Skulptur, die mit ihm recht eigentlich hervortrat und nach seinem Tod 1822 auch wieder verging. Selten war eine Epoche der Kunst so mit einem einzelnen Künstler verbunden.

Dabei war es eine Epoche, die sich weniger als irgendeine vor ihr oder danach als neuartig in den Vordergrund drängte. Im Gegenteil, der Klassizismus suchte gerade den Vergleich, eben mit der Antike, und nicht, um sie zu überbieten, sondern es ihr im besten Falle gleich zu tun. Dieser beste Fall schien in den Werken Canovas eingetreten zu sein. Der 1757 im nördlichen Veneto geborene Canova wollte es selbst nicht anders, bezog er doch seine Anregungen ein ungemein produktives Leben lang aus dem, was er in seiner römischen Wahlheimat sah, wo die besten Antiken in halböffentlichen Sammlungen zugänglich waren. Bevor Canova jedoch seine Werkstatt in Rom aufzog, hatte er in Neapel gesehen, was man zu seiner Zeit gesehen haben musste: die Ausgrabungen von Pompeji und die ursprünglich römischen Sammlungen der Farnese, die 1731 an die spanischen Bourbonen gefallen waren und seither in Neapel bewahrt werden.

In Russland löste Canova große Begeisterung aus

Zu besichtigen sind sie in den beiden großen Museen der Stadt, die Gemälde oben im Museo di Capodimonte und die Antiken im Archäologischen Nationalmuseum unten in der Stadt. Dort ist jetzt die Ausstellung „Canova und die Antike“ zu sehen, die getreulich wiederholt, was seit der Verwissenschaftlichung der Kunstgeschichte undenkbar war: eben die Skulpturen Canovas mit antiken Vorbildern rein ästhetisch zusammenzuführen und dem Betrachter den Reiz des Unterscheidens zu überlassen. In den mächtigen Gewölben des Eingangsgeschosses sind die wuchtigen Helden zu sehen, die die Antike so liebte und denen Canova nie so ganz Paroli bieten konnte. Im Vergleich etwa zur riesigen Skulptur des Herkules Farnese, 1546 in den Thermen des Caracalla aufgefunden, sind Canovas Helden Kreugantes und Damoxenos, die Pius VII. 1802 für den Vatikan erwarb, feiner gegliedert, ohne die brachiale Gewaltausstrahlung der antiken Vorbilder.

Im riesigen Mittelsaal des Obergeschosses, der die Dimension einer Sporthalle aufweist, sind vor allem die zarten und lieblichen Frauenfiguren ausgestellt, die in ganz Europa begehrt waren. Ganz besonders aber im kaiserlichen Sankt Petersburg: Nirgends sonst wurde der Klassizismus derart zum Staatsstil wie in Russland, wo schon der Barock klassizistische Strenge besaß. Zar Alexander I. kaufte mehrere Skulpturen Canovas aus dem Besitz der 1814 verstorbenen Josephine de Beauharnais, der ersten Ehefrau Napoleons, und löste damit in Russland anhaltende Canova-Begeisterung aus.

Bemerkenswerter Besucherandrang

Die Eremitage, die heute die wohl umfänglichste Canova-Sammlung außerhalb Italiens besitzt, ist denn auch der größte Leihgeber der Ausstellung – nach der Gipsoteca e Museo Antonio Canova, dem Künstlermuseum, das Canova im Alter in seinem beschaulichem Heimatort Possagno einrichtete und das in seinen vom venezianischen Landsmann Carlo Scarpa 1957 gestalteten Räumlichkeiten den Großteil seines Werkes in Gipsabgüssen bewahrt. Eine enorme logistische Leistung ist es, all die empfindlichen Skulpturen in Marmor und Gips mitten im verwinkelten Neapel zusammenzuführen. Sie wird belohnt von einem bemerkenswerten Besucherandrang, der durch Vorzugstickets und Warteschlangen vor dem Haupteingang kanalisiert werden muss.

Auf dem Weg vom Grund- ins Obergeschoss passiert der Besucher im monumentalen Treppenaufgang eine der größten Canova-Skulpturen überhaupt, das dem Gründer des Museums gewidmete 3,60 Meter messende Standbild Ferdinands I., Königs beider Sizilien, nach dessen Rückkehr auf den Thron 1815. Ihn hat der Künstler als antiken Feldherrn dargestellt, mit Brustpanzer und Umhang und dem Redegestus der rechten Hand. Auf einem der Hauptplätze der Stadt sind, quasi als open-air-Ergänzung der Ausstellung, gleich zwei königliche Reiterstandbilder von Canova zu bewundern, die sich wie alle Reiterstatuen der bekannten Gestalt des Kaisers Marc Aurel zu Pferde bedienen.

Zu seiner lyrischen Sprache findet er in den weiblichen Figuren

An der römischen Antike orientierte sich Canova auch bei der Sitzfigur George Washingtons aus dem Jahr 1816, die hier, da das nach Amerika verschiffte Original leider bei einem späteren Brand verloren ging, nur im gipsernen bozzetto gezeigt werden kann. Sie orientiert sich am kolossalen, gut 2,20 Meter messenden sitzenden Kaiser Claudius aus der Zeit um das Jahr 50. Aber auch hier bringt Canova eine – man möchte fast sagen: amerikanische – Lässigkeit in die Sitzhaltung hinein, die dem römischen Vorbild fern liegt.

Ganz zu seiner eigenen, lyrischen Sprache findet Canova in den weiblichen Figuren, die er in fließender Bewegung, im Tanz wie auch plötzlichen Innehalten und später in seinem Werk auch in liegender Position aus dem Marmor geradezu hervorschmeichelt. Natürlich hatte Canova, wie alle Künstler seiner Generation, Winckelmann und dessen „Gedanken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“ von 1755 gelesen. Doch edle Einfalt und stille Größe ist es nicht, was Canova auszeichnet, sondern eine fließende und geradezu haptische Geschmeidigkeit, die freilich nie ins Süßliche umschlägt. Das blieb dem späteren 19. Jahrhundert vorbehalten. Anmut, dieser heute nahezu entleerte Begriff, kennzeichnet wohl am ehesten die zwischen Jungfrau und Göttin changierenden Frauenbildnisse. Als sich Canova einmal an ein christliches Motiv wagt, die büßende Magdalena – aus einem Genueser Palazzo entliehen –, mangelt ihm doch etwas die religiöse Tiefe. Das hat ihn nicht gehindert, zum Schöpfer großer Grabmale zu werden, wobei er auch hier antike, in diesem Fall römische Vorbilder im Blick hat.

Im Herbst 2016 stand eine Ausstellung im Berliner Bode-Museum unter dem Titel „Canova und der Tanz“, in der neben den beiden Berliner Skulpturen – der Mundschenkin „Hebe“ und der „Tänzerin mit Zimbeln“ – zur Überraschung der Kuratoren selbst die „Tänzerin mit den Händen in den Hüften“ von 1812 aus der Eremitage gezeigt werden konnte.

Doppelte Bildungsreise

Nun begegnen die „Tänzerin“ samt der diesmal aus Petersburg kommenden „Hebe“ – Canova fertigte gleich vier Exemplare – gemeinsam mit „Amor und Psyche“ und vor allem den meisterlichen „Drei Grazien“ in Neapel ihren antiken Vorbildern: mehreren „Aphroditen“, wie sie, ikonografisch als „schamhaft“ gekennzeichnet, römische Villen schmückten. Aber wo die Antike wortwörtliche Standbilder schuf, gelangen Canova eher „Bewegungsbilder“, was sowohl die körperliche Drehung meint als auch den Ausdruck innerer Bewegtheit.

„Canova und die Antike“ führt den heutigen Betrachter auf eine doppelte Bildungsreise – in die Epoche der Idealisierung der Antike und in die Antike selbst. Beides ist uns Heutigen fern. Und doch lässt sich in Neapel ohne Mühe erspüren, welche Bedeutung alles Klassische einmal besessen und welche Wirkung es ausgeübt hat, hier und in ganz Europa.

Neapel, Archäologisches Nationalmuseum, bis 30. Juni. Katalog bei Electa (ital.), 28 €. – www.museoarcheologiconapoli.it

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