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Kultur - 20.06.2019

Alpensinfonie à la Suisse

Stadt aus der Retorte: Die Berliner Philharmoniker weihen den neuen Konzertsaal im schweizerischen Andermatt ein. Von einem ökologisch zukunftsweisendem Projekt kann man nicht gerade sprechen.

Handwerkskunst. Blick ins Innere der Konzerthalle Andermatt.

Mozarts Symphonie Nr. 34 donnert los, dass der Saal regelrecht erzittert. Die Konzerthalle im schweizerischen Andermatt ist nicht groß, da kann die Energie der Berliner Philharmoniker, an die Dimension ihrer heimischen Spielstätte gewöhnt, leicht ein bisschen zu viel sein. Allerdings hatten das Orchester respektive die gut drei Dutzend mitgereisten Ensemblemitglieder keine Gelegenheit, den Saal zu testen, schon gar nicht mit den zur festlichen Eröffnung gekommenen 466 Zuhörern, die bei der für die Philharmoniker ausgebreiteten „großen“ Bühne noch in Parkett und Rang Platz finden.

Die zweite der an diesem Abend gespielten Mozart-Symphonien ist denn auch deutlich besser ausgesteuert, die Bläser nehmen sich etwas zurück. Dazwischen gibt’s zwei Mal Schostakowitsch, wobei die Kammersinfonie op. 110a der bewegende Höhepunkt des Abends war.

Es war dasselbe Programm, das die Philharmoniker unter Gastdirigent Constantinos Carydis zuvor an drei Abenden in Berlin gegeben hatten. Mitten in den Schweizer Bergen dieses Orchester zu erleben, am geografischen Schnittpunkt zwischen der Nord-Süd-Magistrale über den Gotthard und der Ost-West-Verbindung über den Furkapass, ist nichts Alltägliches, auch wenn die heutige Mobilität es erlaubt, ein Spitzenorchester mal eben für einen Abend „auszuleihen“. Jedenfalls hatte sich Samih Sawiris, der Investor in das nach dem Abzug einer jahrzehntelangen Militärpräsenz etwas ziellose Andermatt, ebendies gewünscht. Nur blieb der Chef der Andermatt Swiss Alps AG am Festtag seltsam unsichtbar. Kurz nur sah man ihm zum Dienst-VW des im Dezember eröffneten Hotels huschen, als dessen Annex die Konzerthalle praktischerweise erbaut ist. Der Gönner genießt und schweigt.

Nach dem Militär kam erstmals – nichts

Das neue Andermatt ist ein Kunstprodukt. Der alte Ort ist so, wie er sich mit seinen grundsoliden Holz-auf-Steinsockel-Häusern darbietet, seit dem Mittelalter durchgehend bewohnt, hatte zuvor aber schon römische Legionäre gesehen, die die Talsenke auf 1444 Meter Meereshöhe nach den dort hausenden Bären benannten. Davon leitet sich der Name des Kantons Uri her. Später fiel Napoleon mit 15 000 Mannen ein, anschließend kam der russische General Suworow und bereitete den Franzosen eine herbe Niederlage. Die militärische Bedeutung des Ortes lag mithin auf der Hand, und schließlich errichtete die Eidgenössische Armee hier einen ausgedehnten Stützpunkt, von dem der Ort bis etwa zum Jahr 2000 zehrte. Dann zog das Militär bis auf einen symbolischen Rest ab, und Andermatt wusste nicht, was es in Zukunft sein sollte und wollte.

Bis 2005 Samih Sawiris kam. Der heute 62-jährige ägyptische Entrepreneur, Dipl.-Ing. der Technischen Universität Berlin und in die Schweizer Berge vernarrt, versprach eine gewaltige Investition auf 150 Hektar und eine Zukunft als Winter- wie Sommer-„Destination“. Erfolgreich ausprobiert hatte Sawiris ein solches Monsterprojekt bereits bei seiner Ferienstadt El Gouna am Roten Meer.

Die von der Gemeinde mit 96 Prozent Zustimmung bejubelten Pläne nehmen mehr und mehr Gestalt an, alleine stattliche 42 Apartment-Häuser sieht der Endausbau vor. Zehn Jahre nach dem ersten Spatenstich war es nun Zeit für das kulturelle Sahnehäubchen namens Andermatt Concert Hall. Entworfen hat das Bauwerk die in London lebende, aus der Schweiz stammende Architektin Christina Seilern, die sich mit dem Entwurf von Veranstaltungsgebäuden einen Namen gemacht hat.

Sie fand in Andermatt den Rohbau einer Art Schuhschachtel vor, noch dazu in den Untergrund versenkt und ursprünglich lediglich als Tagungsraum für das Hotel nebenan gedacht. Seilern gelang es, den Raum hinten etwas anzustücken – so entstand der Rang – und um einige Meter anzuheben. Dieses für den Klang unabdingbare Volumen ragt nun als Eingangsbauwerk in die Höhe, weitgehend verglast, was Tageslicht ins von außen sichtbare Innere bringt.

Denke einer wachstumsgläubigen Epoche

Beim Konzert sieht man die Berge und den allmählich verdämmernden Himmel. Kompromisse mussten bei einer solchen Ich-bau-schnell-noch-mal-um-Architektur trotzdem eingegangen werden, sie betreffen den etwas gequetschten Foyerbereich und den deckenlastigen Rang. Christina Seilern hat jedenfalls eine überraschende Lösung für eine schwierige Aufgabe gefunden, und die Qualität des Schweizer Handwerks, etwa bei der Auskleidung des Saales mit diagonal verlegten Holzstäben zur Schalldämpfung, kommt ihr zugute.

[ Die Recherche zu diesem Artikel wurde unterstützt von Andermatt Swiss Alps]

Die Streicher, die Schostakowitschs Kammersinfonie allein bewältigen, sind jedenfalls Instrument für Instrument herauszuhören, man sitzt ihnen ja auch fast bis zum Geigenbogen nahe. Es hätte eines knapp 40-köpfigen Orchesters nicht bedurft, um den Saal zu eröffnen, aber das bleibt eh’ die Ausnahme. Nach diesem musikalischen Gipfel droht die Ebene kleinerer Veranstaltungen, die sich gegen die reichhaltige Schweizer Konkurrenz behaupten müssen, respektive gleich die Kooperation mit dem geografisch nicht allzu fernen „Lucerne Festival“. Man muss Andermatt wollen, die Berge, die serviced apartments, die zum Verkauf stehen – „auch nicht teurer als Paris“, meinte ein französischer Kollege achselzuckend –, dazu im Winter das viele Dutzend Kilometer weit ausgebaute Skigebiet. Da kann man sich schon fragen, ob die Zukunft des Tourismus’ hier oben wirklich kein Thema ist – oder ob Sawiris’ Investitionen von angepeilten 1,8 Milliarden Franken nicht eher der Denke einer wachstumsgläubigen Epoche entstammen.

Am Morgen danach stechen die schneebedeckten Berge in makelloses Himmelsblau, die Luft ist klar wie der Bergkristall, den schon die Römer handelten. Draußen steht der Bus, eine Tafel mahnt die Musiker zur Abfahrt. Ein Mann hat sich hier seinen Traum erfüllt, und für die Mitarbeiter von Andermatt Swiss Alps heißt das, diesen Traum in eine dauerhafte Erzählung zu verwandeln, auf dass der Tourismus nie zu Ende gehe. Nicht, solange es Musik gibt.

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