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Kultur - 14.06.2019

Abspülen für die Revolution

Die Ex-Besetzer von „Staub zu Glitzer“ haben wieder Pläne für die Volksbühne. Und machen jetzt erst mal einen Kongress – mit dem künftigen Intendanten René Pollesch.

Erster Akt? Mitglieder der Gruppe „Staub zu Glitzer“ bei der Volksbühnenbesetzung im September 2017.

Manche nannten es eine Besetzung, andere sprachen von einer Inszenierung. Was immer es auch war, im September 2017 fand es für sechs Tage erstmals statt. Die Gruppierung „Staub zu Glitzer“ hatte die Volksbühne am Rosa-Luxemburg- Platz an sich gerissen, also „bespielt“, bis mithilfe der Polizei geräumt wurde. Fast zwei Jahre später wollen die Theateraktivisten nun die Geschichte wiederholen, kündigt Sarah Waterfeld an, die sich selbst als „Anarcho-Kommunistin“ beschreibt.

Die Literatur-, Politik- und Medienwissenschaftlerin, geboren 1981 in Berlin, trat 2012 eine Stelle im Bundestag als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linksfraktion an und veröffentlichte im Anschluss ihren Debütroman „Sex mit Gysi“ im Eulenspiegel-Verlag. Gregor Gysi habe übrigens geklagt, erzählt sie, allerdings vergeblich. Vorsitzende der Linkspartei wollte sie auch mal werden. Jetzt ist sie Sprecherin von „Staub zu Glitzer“.

„Tag X“ wird kommen, kündigt das Kollektiv in einem Pamphlet und im Internet an. Ein genaues Datum wird nicht genannt. Auch Waterfeld sagt dazu nichts. Vielleicht werden sie sich kollektiv Karten für ein Theaterstück kaufen oder anders ins Haus gelangen, ob zur Spielzeit oder in der Spielpause – so schwer ist es nicht, dort reinzukommen. Besonders dann nicht, wenn man Komplizen unter den rund 150 Mitarbeitern im Haus hat. Im Januar 2017 hatten sich einige Volksbühnen-Mitarbeiter an eine Gruppe von Besetzern gewandt, die im Zuge der Debatte um den Soziologen und ehemaligen Staatssekretär Andrej Holm einen Raum in der Humboldt-Universität besetzt hatten – mit der Bitte, dies doch auch bei der Volksbühne zu tun. Hieraus bildete sich „Staub zu Glitzer“, mit dem Ziel der „Enthierarchisierung des Theaterbetriebs“.

Aufgeben? Nein, dafür war man zu nahe dran

Eine erneute Besetzung der Volksbühne sei notwendig, meint Waterfeld. Seit der Aktion vor zwei Jahren werden sie und ihre Mitstreiter gelegentlich als Spinner beschimpft. Aufgeben? Nein, dafür war man zu nah dran, dafür hat man viel zu viel Resonanz bekommen, mehr als zahlreiche Theaterstücke, die nach Spielplan stattfanden. Aber, so gibt Waterfeld zu, das Kollektiv musste sich schon neu orientieren. Das Ziel habe sich nicht geändert, nur die Situation sei eine andere geworden.

Der ungeliebte Chris Dercon hat mittlerweile Berlin verlassen, doch das sei niemals das alleinige Ziel von „Staub zu Glitzer“ gewesen. Waterfeld wirft die Arme in die Höhe und lässt sie langsam wieder fallen: Auch der amtierende Intendant Klaus Dörr verändere die geliebte Volksbühne in ein „stinknormales Theater“. Dörr mache, was man Dercon immer vorgeworfen hatte: Elitentheater. Dörr ist noch bis Ende der Spielzeit 2020/21 Leiter der Volksbühne. Als Nachfolger wurde in dieser Woche René Pollesch benannt, zur Freude von Waterfeld, die sich bereits mit dem designierten Intendanten Pollesch getroffen hat. traf. Gespräche über eine Zusammenarbeit laufen bereits, erzählt Waterfeld.

Pollesch jedenfalls wird zum „alternativen Volksbühnengipfel“ von „Staub zu Glitzer“ kommen, am 6. Juli im Club- und Kulturhaus „Mensch Meier“. Nach Vorstellung von Waterfeld und ihren Freunden soll die Ein-Personen-Intendanz einmal vollständig abgeschafft und die Volksbühne vollständig kollektiv geführt werden können. Pollesch könnte der „Übergangs-Intendant“ sein. Pollesch selbst wollte sich zu „Staub zu Glitzer“ noch nicht konkret äußern. Er sagt zu einer möglichen Zusammenarbeit: „Das versuchen wir jetzt herauszufinden.“

Die Aktivisten sind mit der Planung des „Gipfels“ beschäftigt. Es werden Leute gesucht, die eine Rede halten möchten „gegen das Dreckssystem, gegen Gentrifizierung, gegen die eigenen scheißprekären Lebensumstände“, oder ihre Kunst präsentieren wollen, so heißt es in einer Rundmail. Dabeisein wird auch Frank Künster, der Türsteher, Clubbesitzer, Filmproduzent und Schauspieler. Er war auch 2017 bei der Besetzung der Volksbühne dabei. „Kommt alle zum alternativen Volksbühnengipfel, am besten nackt“, sagt er in einer Videobotschaft: „Es lebe die Revolution!“ Ein „organisches und soziales Gesamtkunstwerk“ soll es werden. Waterfeld zitiert aus dem Manifest des Kollektivs. Das Theater soll ein Ort für alle sein, jederzeit frei zugänglich. Im 24-Stunden-Betrieb soll jeder an der Volksbühne inszenieren oder ausstellen können, so die Idealvorstellung. Kollektive Intendanz also: Wenn eine Person beispielsweise Fotos im Foyer ausstellen möchte, so könnte sie oder er dafür im Gegenzug Geschirr abwaschen in der Volksküche. „Wir fordern einen Werkvorgang, eine Beteiligung der Menschen“, erklärt Waterfeld. Ein „neoliberales Kunst-Management“ werden wir unter keinen Umständen akzeptieren. Man wolle die Volksbühne vom „kapitalistischen Finanzdruck“ befreien.

22 Besetzer sind nun vorbestraft, einige 600 Euro Strafe zahlen

Sarah Waterfeld besitzt nicht nur vier Terabyte Video- und über 250 Seiten Dokumentationsmaterial von Sitzungen, Emails, Telefonaten, sie hat auch ein Buch über die Besetzung geschrieben. „Das Theater“ soll ihr dritter Roman werden. Er handelt nun von den sechs Tagen Volksbühnen-Besetzung, von Hinterzimmergesprächen und Verhandlungen, der Kollektivarbeit und wie sich der Protest gegen den Intendantenwechsel in die Geschichte der Volksbühne einbetten lässt. Weite Teile des Buchs sind fiktionalisiert und anonymisiert. Da gibt es die erfolgreiche Arte-Produzentin, die sich in einen jungen Besetzer verliebt, oder den chinesischen Regisseur, der die Besetzer überwacht. Ihre Literaturagentur hat ihr Werk bei über 50 deutschsprachigen Verlagen angeboten, alle lehnten ab.

Für einige Besetzerinnen und Besetzer ging die Geschichte auch vor Gericht weiter: 22 Personen sind nun vorbestraft unter anderem wegen Hausfriedensbruch, einige mussten 600 Euro Strafe zahlen. Zwar hatten Dörr und die Volksbühne die Anzeigen zurückgezogen, allerdings erst, als die Verhandlungen schon gelaufen waren. Waterfeld sagt, Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) habe Dörr „dazu anstupsen müssen“. Dieser verneint das auf Nachfrage jedoch vehement.

Wenn man Klaus Dörr auf die Besetzung anspricht, rollt er kurz mit den Augen, ihm ist bewusst, dass da noch was kommen wird. Dörr war nicht dabei, hat die sechs Tage nicht persönlich miterlebt. Aber eine Besetzung, die gelte es abzuwehren: Man habe da Sicherheitsvorkehrungen getroffen, sagt Dörr, hinter dem großen Holztisch in seinem Büro, der leise knirscht. Man werde auch versuchen, eine Besetzung im Vorfeld zu unterbinden und alles dafür zu tun, dass die Arbeit weitergehen kann. Man sei verpflichtet, die Künstler und Mitarbeiter vor einer widerrechtlichen Aneignung der Volksbühne zu schützen. Und man werde definitiv vom Hausrecht Gebrauch machen, sollte „Tag X“ kommen und nicht sechs Tage warten. Bei der letzten Besetzung sei ein Schaden in Höhe von 10 000 Euro entstanden.

„Kunst und Basisdemokratie gehen nicht zusammen“, sagt Klaus Dörr.

„Theater und Gesellschaft basieren auf Spielregeln. Wenn diese durchbrochen werden, löst das enormen Stress aus“, sagt Dörr. Absurde und utopische Vorschläge für Theaterstücke oder Projekte würden nahezu jeden Tag eintreffen. Die Idee hinter „Operation Staub zu Glitzer“ sei eine davon, mit dem Unterschied, dass diese sich die Volksbühne einfach aneignen wollen würden.

„Kunst und Basisdemokratie, das geht nicht zusammen“, sagt Dörr weiter über das Konzept, das ihm „Staub zu Glitzer“ bereits im Mai in einer Power-Point-Präsentation vorgestellt hat. Fragt man Waterfeld zu dem Treffen, berichtet sie, Dörr habe nicht viel dazu gesagt und lediglich knapp gefragt, wie das finanziert werden solle.

Und könnte so ein Kollektiv-Projekt wie „Staub zu Glitzer“ erfolgreich sein, unabhängig von der Volksbühne, an einem anderen Ort, vielleicht auf dem Tempelhofer Feld? „Wenn das Land Berlin so einen Feldversuch mitmachen würde, klar, das könnte interessant sein“, meint Dörr. „Aber ob dabei Kunst herauskommt, ist eine andere Frage.“

Waterfeld wirft Dörr auch vor, die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Volksbühne nicht aktiv genug voranzubringen. Dörr erklärt dazu, man sei schon viel weiter als vor zwei Jahren. „Das spielt bei jeder neuen Einstellung hier eine Rolle“. Und er könne ja auch nicht einfach 30 Männer entlassen. „Mit dem aktuellen Stand der Diversität hier bin ich nicht zufrieden“, sagt er. Aber Veränderungen brauchten mehr Zeit als nur eine Spielzeit.

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